Zum 100. Geburtstag „Das Prosawerk“ von Friedrich Dürrenmatt

100 Jahre Friedrich Dürrenmatt – Die Werkausgabe in 37 Bänden

Die Werkausgabe (WA) in 37 Bänden basiert auf der zum 60. Geburtstag erschienenen und von Friedrich Dürrenmatt selbst in Zusammenarbeit mit Thomas Bodmer herausgegebenen Werkausgabe in 29 Bänden (1980). Der Verlag ergänzte das Werk mit den von 1980 bis zu seinem Tod 1990 und die aus dem Nachlass erschienenen Werke. Das dramatische Werk hatte 17 Bände und erhielt nun den Band 18 dazu. Obwohl in der Werkausgabe zuerst die Dramatischen Werke stehen, werde ich mit der Besprechung des Prosawerks, das sind Band 19 – 37 der Werkausgabe.

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Auf der Facebookseite des Projektes Ich lese Dürrenmattt, und der dazugehörigen Facebookgruppe Wir lesen Dürrenmatt kann jeder mitlesen, mit diskutieren oder eigene Gedanken zu Dürrenmatts Werk mitteilen. Der Leseplan zeigt, was wir aktuell lesen. Januar/Februar 21 lesen wir Band 19 – Aus den Papieren eines Wärters.

Das Prosawerk von Friedrich Dürrenmatt

Das Prosawerk umfasste in der ersten Ausgabe 12 Bände und nun kamen 5 Bände erzählerische Prosa, ein Band Essays und ein Nachlassband dazu. Einen Nachweis der Publikationsgeschichte und der Textgrundlage von Ulrich Weber und Anna von Planta gibt es jeweils am Schluss der einzelnen Bände.

Zuerst einmal der Überblick:

19. Band – Aus den Papieren eines Wärters. Frühe Prosa.
20. Band – Der Richter und sein Henker / Der Verdacht. Die zwei Kriminalromane um Kommissar Bärlach.
21. Band – Der Hund / Der Tunnel / Die Panne. Erzählungen.
22. Band – Grieche sucht Griechin / Mister X macht Ferien / Nachrichten über den Stand des Zeitungswesens in der Steinzeit. Grotesken.
23. Band – Das Versprechen. Requiem auf den Kriminalroman / Aufenthalt in einer kleinen Stadt. Fragment.
24. Band – Der Sturz / Abu Chanifa und Anan ben David / Smithy / Das Sterben der PythiaErzählungen.
25. Band – Justiz. Roman.
26. Band – Durcheinandertal. Roman.
27. Band – Minotaurus / Der Auftrag oder vom Beobachten des Beobachters der Beobachter / Midas oder die schwarze Leinwand. Prosa.
28. Band – Labyrinth. Stoffe I-III Der Winterkrieg in Tibet. / Mondfinsternis / Der Rebell. Vom Autor revidierte Neuausgabe. Mit Personen- und Werkregister. Auch als Diogenes Hörbuch erschienen, gelesen von Wolfgang Reichmann.
29. Band – Turmbau. Stoffe IV-IX Begegnungen / Querfahrt / Die Brücke / Das Haus / Vinter / Das Hirn. Mit Personen- und Werkregister.
30. Band – Theater. Essays, Gedichte und Reden. Mit Personen- und Werkregister.
31. Band – Kritik. Kritiken und Zeichnungen. Mit Personen und Werkregister.
32. Band – Literatur und Kunst. Essays, Gedichte und Reden. Mit Personen- und Werkregister.
33. Band – Philosophie und Naturwissenschaft. Essays, Gedichte und Reden. Mit Personen- und Werkregister.
34. Band – Politik. Essays, Gedichte und Reden. mit Personen und Werkregister.
35. Band – Zusammenhänge. Essay über Israel. Eine Konzeption. / Nachgedanken. Unter anderem über Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit im Judentum, Christentum, Islam und Marxismus und über zwei alte Mythen. 1980. Mit Personen- und Werkregister.
36. Band – Versuche / Kants Hoffnung. Essays und Reden. Mit Personen und Werkregister.
37. Band – Gedankenfuge. Essays. Mit Personen- und Werkregister. / Der Pensionierte. Fragment eines Kriminalromans (Text der Fassung letzter Hand).
Registerband zur Werkausgabe Friedrich Dürrenmatt. Chronik zu Leben und Werk, Bibliographie der Primärliteratur. Gesamtinhaltsverzeichnis. Alphabetisches Gesamtwerkregister. Personen- und Werkregister aller 37 Bände.

Bei der Besprechung der einzelnen Bände, nehme ich die Biographie von Ulrich Weber und weitere Sekundärliteratur zur Hilfe. Zitate ohne Nachweisangabe stammen aus „Friedrich Dürrenmatt – eine Biographie“ von Ulrich Weber. Zur Rezension.


Das Prosawerk von Friedrich Dürrenmatt – Band 19 und 20

Sobald wir einen neuen Band beginnen, werde ich zuerst einen Überblick und eine zeitliche Einordnung des Werkes in Dürrenmatts Leben auf die Seite stellen. In Ulrich Webers Biografie lässt sich das sehr genau nachvollziehen. Sobald wir das Buch gelesen haben, werden die Kritiken veröffentlicht.

Prosawerk Band 19 WA – Aus den Papieren eines Wärters. Friedrich Dürrenmatt

Das Prosawerk Aus den Papieren eines Wärters Friedrich Dürrenmatt

Die frühe Prosa schrieb Dürrenmatt in den Jahren 1944 bis 1946 vor den Dramen. Der Band enthält folgende Texte:

Dürrenmatt arbeitete immer wieder bis 1952 an der «Stadt». Im Band ist die Fassung von 1947. „Aus den Papieren eines Wärters“ war nach eigenen Angaben, „ein Stoff, dem er damals nicht gewachsen war. Es ist ein Zwischendokument […] WA 19. Anhang“ . Zwanzig Jahre später hatte er den Stadt-Stoff in „Der Winterkrieg in Tibet“ in Stoffe I-II beendet.

Im Herbst 1941 begann Dürrenmatt «auf dem Weg zur Schriftstellerei» sein Studium der Neueren Deutschen Literatur, Älteren Germanistik und Kunstgeschichte in Bern. 1942 musste er in die Rekrutenschule einrücken, wurde aber wenige Wochen später wegen seiner Kurssichtigkeit entlassen und in den militärischen Hilfsdienst versetzt. Ein Jahr später wechselte Dürrenmatt an die Züricher Universität. Dort lernte er auch seine erste Freundin, die Malerin Christiane Zufferey, kennen. Zwischen Christiane und Dürrenmatts Schwester Verena entstand eine lebenslange Freundschaft.

»Er (F.D.) hat die Welt seines Vaters und damit die
Heute gültige Welt mit ihren christlichen Grundlagen
zerschlagen, und nun spielt er wie ein Kind, dessen
geliebtes Spielzeug aus Mutwillen in die Brüche
gegangen, mit den Fragmenten dieser Welt.«

Dürrenmatt entfernte sich immer weiter von seinem Elternhaus und schrieb an seine Mutter:

[…] warum kann ich nicht an einen Gott glauben wie Du! […]

Im Zürcher Schauspielhaus sah er auch die Uraufführung von Brechts «Der gute Mensch von Sezuan».
Kurz nachdem er bei einem Spaziergang zufällig auf den Gedenkstein Georg Büchners traf, schrieb er am 24. Dezember 1942 in einem Cafè das Stück «Weihnacht». Auf mögliche Interpretationsansätze werde ich später, in der Besprechung der Einzelbände eingehen.

In dieser Zeit in Zürich, entstanden auch die Texte «Die Wurst», «Der Sohn» und «Der Folterknecht». Er bezeichnete sich selbst als «Nihilistischen Denker».

„Weihnacht“, „Der Folterknecht“

Dürrenmatt kehrte nach Bern zurück und studierte Philosophie: Kierkegaard, Kant etc.

Immer wieder bearbeitete er viele dieser ersten Texte neu.

Prosawerk Band 19 WA – Der Richter und sein Henker / Der Verdacht. von Friedrich Dürrenmatt

Werkausgabe Band 20 Prosawerk Diogenes Ulrich Weber

In diesem Band sind die zwei Kriminalromane um Kommissar Bärlach enthalten. Beide Romane spielen in der Nachkriegszeit.

Der Richter und sein Henker

„Der Richter und sein Henker“ ist Friedrich Dürrenmatts erster Kriminalroman, der erste Erfolg und begründet seinen Ruhm. Dürrenmatt gibt an, den Text 1950/1951 im winterlichen Ligerz am Bielersee geschrieben zu haben. Es war eine Auftragsarbeit für den „Schweizerischen Beobachter und erschien in 8 Folgen zwischen Dez. 1950 und Anfang März 1951. Er brauchte das Geld, um einen Krankenhausaufenthalt seiner Frau Lotti zu finanzieren. 1952 erschien die überarbeitete Version als Buchfassung 1952 im Benziger Verlag und ab 1979 bei Diogenes. 1957 wurde es vom Deutschen Fernsehen als Spielfilm in Eigenproduktion verfilmt.

1978 wurde es mit Maximilian Schell für das Kino verfilmt. Der Krimi wurde in den Lektüre Kanon für Realschulen aufgenommen und es gibt eine Graphic Novel. Der Schweizer Zytglogge Verlag veröffentlichte 1996 den von Schülern des städtischen Literargymnasiums Bern-Neufeld, in professionelle schwarz-weiß Comics umgesetzten Krimiklassiker.

Dürrenmatt befand sich 1950/1951 in einer schwierigen Lage. Die Basler Mentoren lehnten sein Stück Mississippi ab. Um Geld zu verdienen, erweiterte er seine Werke um die Gattungen Hörspiele und Kriminalromane. Er beendete „Der Richter und sein Henker“.

Der in Friedrich Dürrenmatts Umgebung spielende Krimi hatte Einflüsse von Friedrich Glauser und seinen Romanen um den Berner Wachtmeister Studer, den Weg zu einer gesellschaftskritischen Literatur vorzubereiten.

»Kunst dort zu tun, wo sie niemand vermutet: Die Literatur muss so leicht werden, dass sie auf der Waage der heutigen Literaturkritik nichts mehr wiegt: Nur so wird sie wieder gewichtig.« (WA 30, S. 71f.)

Der Verdacht von Friedrich Dürrenmatt (zur Rezension)

In „Der Verdacht nimmt Dürrenmatt das erste mal in in einem größeren Werk direkt auf das Zeitgeschehen und den Holocaust Bezug. In der gesamten deutschsprachigen Literatur war es das erste Werk.

Hierzu ist Ulrich Webers Biographie im Hinblick auf Dürrenmatts Haltung sehr aufschlussreich:

„Hitler taucht in Karikaturen des Gymnasiasten und in Neujahrsversen zum Jahr 1939 auf. Zwar weisen die Karikaturen auf humoristische
Distanz hin, doch zeigte Dürrenmatt eine Zeitlang durchaus Sympathien für die Nazis und schloss sich im Mai 1941, während er für die Maturaprüfung büffelte, der frontistischen, also nazifreundlichen ›Eidgenössischen Sammlung‹ an. Dürrenmatt hat dies nie geleugnet, es
1981 im ersten Band der Stoffe publik gemacht und dort rückblickend als pubertäre Rebellion gedeutet; er nennt es »ein nebulöses Parteinehmen für Hitler« (WA 28, S.189).“

Sicherlich hatte Dürrenmatt immer das Verhalten der Schweiz im Zweiten Weltkrieg vor Augen. Auf dieses Thema und die historische Quelle, gehe ich genauer bei der Besprechung der einzelnen Werke ein.

Ein weiterer Bezugspunkt ist die Religion. Wie in der Beschreibung von Band 19 schon erwähnt, erwog Dürrenmatt zum Katholizismus zu konvertieren, kam aber wieder schnell davon ab. Er stellt Judentum und Christentum einander gegenüber.

Auch „Der Verdacht“ erschien wöchentlich in Fortsetzungen in „Der Schweizerische Beobachter“ (September 1951–Februar 1952), als Buchausgabe dann 1953 im Benziger Verlag, Einsiedeln.

Bei diesem Werk gibt es erhebliche Differenzen zwischen der Erstpublikation und weiteren Buchfassungen, die erst 2009 zum Gegenstand der unveröffentlichten Seminararbeit Marion Gerbers (Deutsches Seminar, Univ. Bern, 2009) wurden.

Historischer Hintergrund Prosawerk Band 19 und 20

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts geschahen abscheuliche Dinge. Der Erste Weltkrieg hatte die Systeme und traditionellen Werte in Frage gestellt. Im Zweiten Weltkrieg kamen noch der Nationalsozialismus, der Holocaust und die Millionen Kriegstoten. In Europa herrschte der Pessimismus.

Die Schweiz hatte sich während des Krieges neutral verhalten, hatte einigen Juden und Verfolgten ein Exil geboten, aber auch dieses Verhalten war moralisch zweifelhaft. Der Begriff Gerechtigkeit war entleert. Die Kirche hatte keine Stellung gegen das Böse bezogen. Wo war der Idealismus geblieben?

Wie geht es mit dem Prosawerk weiter?

Im Juni 2021 stelle ich den Band 21 der Gesamtausgabe vor und die Schlussbemerkung(en) der Lesegruppe zu Band 19 vor. Ich freue mich auf viel Mitleser. Jeder ist Willkommen. Auch wenn du bislang noch keinen „Dürrenmatt“ gelesen hast, wäre das ein guter Grund, um damit anzufangen.

Weiter zu

Projekt Friedrich Dürrenmatt

Medienliste zu Friedrich Dürrenmatts 100. Geburtstag

Vielen Dank @Diogenes für die Bereitstellung der Liste

In SWR2 diskutierte Carsten Otte gestern mit Mathilde Lehmann, Martin und  mit Ulrich Weber (Dauer 45 Min): https://www.swr.de/swr2/literatur/der-besuch-der-alten-buecher-100-jahre-duerrenmatt-100.html

ORF Ex libris: Zuhören ist zu Beginn ein Interview von 1980, in welchem Dürrenmatt über sein Menschenbild und literarisches Werk spricht. Danach stellt Cornelius Hell die neue Biographie vor (Dauer: 15 Min): https://oe1.orf.at/artikel/679957/Duerrenmatt-von-Ulrich-Weber.

NDR Kultur: Ulrich Weber im Interview mit Jürgen Deppe, zum Nachlesen: https://www.ndr.de/ndrkultur/sendungen/journal/Friedrich-Duerrenmatt-Autor-mit-unerschoepflicher-Kreativitaet,duerrenmatt114.html

Ausserdem hat Annemarie Stoltenberg gestern die neue Bio in NDR Kultur vorgestellt, bisher nur zum Nachlesen verfügbar: https://www.ndr.de/kultur/buch/Ulrich-Weber-Friedrich-Duerrenmatt-Eine-Biographie,duerrenmattbiografie102.html

Schon am Sonntag lief in der Sendung Sonntagsstudie eine 1,5 stündige Archivschau zum 100. Geburtstag, zum Nachhören: https://www.ndr.de/ndrkultur/sendungen/sonntagsstudio/Der-Meteor-Zum-100-Geburtstag-von-Friedrich-Duerrenmatt,audio798696.html

Bayern2 radioWissen. Gabriele Knetsch zeigt auch die weniger bekannten Facetten von Dürrenmatt auf (23 Min): https://www.br.de/mediathek/podcast/radiowissen/friedrich-duerrenmatt-theater-als-gesellschaftskritik/1814257

Radio Bremen. Ein Beitrag von Tobias Nagorny (3:34 Min): https://m.radiobremen.de/bremeneins/serien/as_time_goes_by/atgb3276.html





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Connie Ruoff

Mein Name ist Connie Ruoff, ich bin 1960 geboren, habe Philosophie und Germanistik studiert. Damit mir zu Hause nicht langweilig wird, studiere ich"Bloggen professionell gemacht" in der Fernakademie. Ich lese alles, was ich finden kann.

3 Kommentare zu „Zum 100. Geburtstag „Das Prosawerk“ von Friedrich Dürrenmatt“

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