„Grieche sucht Griechin“ Friedrich Dürrenmatt (Rezension)

Wer ist die Bezaubernde Chloè?

„Grieche sucht Griechin“ ist ein mit Liebe ausgestattetes Märchen. Man würde es wohl auf den ersten Blick der Trivialliteratur zuordnen, wenn es nicht Friedrich Dürrenmatt geschrieben hätte. Was steckt dahinter? Ist die Geschichte wirklich ein oberflächliches Märchen?

Dürrenmatt wurde 1956 von Walter Ohm, einem Regisseur beim Bayerischen Rundfunk für ein Filmprojekt angefragt. Ein Treffen in Paris mit Produzent und Regisseur, veranlasste Dürrenmatt dazu, aus dem Arbeitstitel «Ich heirate eine Kurtisane», die Prosakomödie «Grieche sucht Griechin» niederzuschreiben, die 1955 bei der Arche erschien. 1966 war die Erstaufführung des gleichnamigen Films von Rolf Thiele, mit Heinz Rühmann und Irina Demick in den Hauptrollen.

In der Nacht ein wirres Diner mit einem Filmproduzenten und dem Regisseur aus München, der bayerische Krachlederne trug. Ich erzählte den Plan zu Grieche sucht Griechin, fühlte schon beim Erzählen den Unsinn des Unternehmens. Trotzdem begann ich, nach Neuchâtel zurückgekehrt, die Geschichte niederzuschreiben, sei es aus Ärger, mich auf das Unterfangen überhaupt eingelassen zu haben, sei es aus der Abenteuerlust heraus, nicht aufzugeben. […]

Ulrich Weber: Friedrich Dürrenmatt.

«Grieche sucht Griechin» wurde zusammen mit den Grotesken «Mister X macht Ferien» und «Nachrichten über den Stand des Zeitungswesens in der Steinzeit» in Band 22 der Werkausgabe aufgenommen.

Kurze Zusammenfassu.ng des Inhalts «Grieche sucht Griechin»

Der Brille tragende Unterbuchhalter der Maschinenfabrik Arnolph Archilochos verbringt seine Abende Milch trinkend im“Chez Auguste“ bei Georgette und ihrem Mann. Georgette überzeugt ihn schließlich , eine Kontaktanzeige aufzugeben. 

Auf seine Annonce «Grieche sucht Griechin», meldet sich die bezaubernde Chloé Saloniki, mit der sich Archilochos beim ersten Treffen verlobt. Als der nächste Tag beginnt, beginnt auch Archilochos raketenhaftem Aufstieg. Honoratioren der Stadt grüßen ihn und bitten um seinen Besuch, um ihm etwas zu schenken. Sei es eine Beförderung, ein Auto oder ein Haus.

Arnolph versteht nicht, was mit ihm geschieht. Vom Unterbuchhalter zum Weltenrat. Er will es auch gar nicht verstehen. Was hat Chloé damit zu tun? Er stellt Chloé auf einen Sockel und hinterfragt die Zusammenhänge nicht.

Erst spät erkennt er, wer ihm seine Karriere ermöglicht hat. Chloés Rolle dabei nimmt ihm den Glauben und er verlässt sie in der ersten Schlussfassung. In der zweiten Schlussfassung, dem “Ende für Leihbibliotheken“, erkennt Archilochos seine zweite Chance, sucht Choé und lebt mit ihr zusammen. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann …

Worum geht es in «Grieche sucht Griechin»? ‚

Archilochos hat sich eine sittliche Weltordnung gezimmert, die aus sieben Personen des öffentlichen Lebens und seinem kriminellen Bruder Bibi, besteht.

  • An erster Stelle steht der Staatspräsident
  • dann folgt der Bischof der Altneuprebyteraner
  • ein erfolgreicher Industrieller Petit-Paysan
  • der Künstler Passap
  • der Botschafter der Vereinigten Staaten, Bob Forster-Monroe
  • der Rechtsanwalt Maître Dutour
  • der Rektor der Universität, Hercule Wagner
  • der kleinkriminelle Bruder Bibi Archilochos

Er vertraut den auserwählten Würdenträger. Als Altneupresbyteraner glaubt er an die Strafen und Qualen der Hölle, denen er nur durch ein sittliches Leben entgehen kann.

Aber so einfach ist das reale Leben nicht. Oder um es analytisch auszudrücken, das Prinzip Chaos trifft auf das Prinzip Ordnung und enttarnt es.

Archilos erkennt, dass seine einstigen Vorbilder auch nur Puppen des Systems. Es handelt sich einfach nur um Menschen, mit allen ihren Fehlern.

Interpretation /Analyse «Grieche sucht Griechin»

Die Handlung wird chronologisch erzählt, aus der allwissenden Erzählperspektive.

Archilochos wird erst durch Chloe zu einem erwachsenen Mann, der die Verantwortung für das eigene Leben übernimmt. Es ist seine Geburt, oder der Weg eines Mannes zu sich selbst durch eine Frau (Flora Saloniki). Chloe steht in diesem Fall für das Weibliche in allen seine Fazetten, von der Dirne, über die Dame von Welt, bis zu einer Heiligen.

Besonders interessant ist auch die Passage mit dem obersten Chef Petit-Paysan, der eigentlich Archilochos Namen überhaupt nicht kennt, sondern ihn in jedem Satz einen anderen Namen gibt:

  • Herr Anaximander
  • Herr Agesilaos
  • Herr Aristipp
  • Herr Artaxerxes
  • Herr Agamemnon
  • Herr Anaxagoras

Sämtliche Namen sind aus der griechischen Geschichte oder Mythologie gewählt.

Ende I

Was geschieht mit Archilochos? Das entscheidet sich daran, welches Ende gewählt wird. Wählt man Ende I, bleibt Archilochos, als vor dem Leben resignierender Mensch zurück.

Hier kommt das Ende für Leihbibliotheken

Wählt man das Ende für Leihbibliotheken, erkennt Archilochos die Gnade der Liebe (Eine Seltenheit bei Dürrenmatt) und nimmt das sinnfreie Leben an und versucht, das Beste daraus zu machen.

Archilochos reist nach Griechenland, nachdem er Chloé in der Stadt nicht gefunden hat. Bei der Ausgrabung von Altertümern stößt er auf Chloé.

Er stellt sich der Realität und ist somit ein mutiger Mensch im Sinne Dürrenmatts.

Archilochos steht hier für die Stellung des Einzelnen gegenüber der Welt. (Kierkegaard).

Über «Grieche sucht Griechin» findet sich in der Forschung nur wenig Material. Monika Obermann geht in ihrer Abhandlung «Nur eine belanglose Geschichte? Eine Interpretation der Prosakomödie Grieche sucht Griechin von Friedrich Dürrenmatt und ihre Verortung innerhalb des Werkes», Mai 2015, ausführlich darauf ein.

Fazit/Kritik „Grieche sucht Griechin“

Ist das eine Geschichte, die in unsere heutige Zeit passt? Ich bin mir nicht sicher. Auf jeden Fall, müsste man Chloés Beruf etwas weiter fassen. Eine Frau, die sich durch Gefälligkeiten, die Gunst mächtiger Männer verdient hat. Ja! Und wenn dazu noch die Gender Bezeichnungen weggelassen werden, funktioniert das sicherlich auch heute noch sehr gut.

Vetternwirtschaft ist etwas, was dem doch sehr nahekommt. Wir werden alle geprägt von unseren sozialen Kontakten. Sicherlich am meisten, von Menschen, die wir lieben, die uns etwas bedeuten.

Jeder von uns hat Werte, die ihm wichtig sind. Und wenn diese Werte angegriffen werden, trifft uns das. Genauso ist das mit der Vorstellung, die wir von anderen Menschen, vor allem von Vorbildern haben.

Wie fast jedes Mal am Ende einer Dürrenmatt Rezension, bleibt mir nur noch zu sagen:

Ja! Friedrich Dürrenmatt ist heute noch aktuell.


Rezension Grieche sucht Griechin Friedrich Dürrenmatt
Taschenbuch
208 Seiten 
erschienen am 30. September 1998 

978-3-257-23062-8 

Weitere Rezensionen zu „Grieche sucht Griechin“

Die Gräfinnen

Dieter Wunderlich

Weiter zu

Diogenes Verlag

Blog Friedrich Dürrenmatt

Rezension „Der Richter und sein Henker“

Teile diesen Beitrag
Benutzerbild von Connie Ruoff

Connie Ruoff

Mein Name ist Connie Ruoff, ich bin 1960 geboren, habe Philosophie und Germanistik studiert. Damit mir zu Hause nicht langweilig wird, studiere ich"Bloggen professionell gemacht" in der Fernakademie. Ich lese alles, was ich finden kann.

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Nach oben scrollen
%d Bloggern gefällt das: