Labyrinth Stoffe I-III, Friedrich Dürrenmatt /Rezension

„Labyrinth“ Friedrich Dürrenmatt (Rezension)

Labyrinth: Stoffe I-III

„Labyrinth: Stoffe I-III“ zeigt die Gedankenwelt eines der größten Dramatiker des 20. Jahrhunderts. Friedrich Dürrenmatt gewährt einen intimen Blick auf sein Leben und Schaffen, wobei er die Leser mit auf eine Reise durch die prägenden Erlebnisse und Überzeugungen seines Lebens nimmt. Sein autobiografischer Bericht ist nicht nur eine Reflexion über sein eigenes Dasein, sondern ein tiefes Eintauchen in die universellen Fragen der Menschheit. Eine scharfsinnige Analyse aus beeindruckender Ehrlichkeit.

Einordnung in Dürrenmatts Vita

1966 hatte Dürrenmatt mit „Der Meteor“ einen großen Erfolg gefeiert, ein Jahr später wurde mit weniger Erfolg „Der Wiedertäufer aufgeführt. 1968 wurde er zum Kodirektor des Basler Theaters ernannt. Die Bearbeitungen der Stücke „König Johann“ und „Play Strindberg“ waren ganz erfolgreich. Wegen Streitigkeiten mit Direktor und Ensemble und einem Herzinfarkt zog sich Dürrenmatt 1969 aus der Direktion zurück. Nach mehreren Misserfolgen folgte 1973 mit der Komödie „Der Mitmacher“ seine für ihn wohl größte Theaterniederlage.

Spätestens seit 1964 beschäftigt sich Dürrenmatt mit dem Projekt „Stoffe. Die erste längere Fassung der Stoffe mit dem Untertitel „Zur Geschichte meiner Schriftstellerei“ (1970/71). Dürrenmatt beschäftigt sich in dieser Zeit mit Kants „Kritik der reinen Vernunft“ sowie 1973 und nochmals 1976 mit Kierkegaard. 1977 wird die Fassung geteilt. Aus dem ersten Teil entwickelt sich 1981 der im Diogenes Verlag publizierte Band „Stoffe I-III“.

Autobiographischer Teil „Labyrinth“

„Je älter man wird, desto stärker wird der Wunsch, Bilanz zu ziehen. Der Tod rückt näher, das Leben verflüchtigt sich. Indem es sich verflüchtigt will man es gestalten; indem man es gestaltet, verfälscht man es: So kommen die falschen Bilanzen zustande, die wir Lebensbeschreibungen nennen, manchmal große Dichtungen – die Weltliteratur beweist es -, leider oft für bare statt für kostbare Münze genommen.“

Labyrinth S. 13.


Friedrich Dürrenmatts „Labyrinth: Stoffe I-III“ enthält einen autobiografischen Teil, der tief in das Leben und Denken des Autors eintaucht. In dieser Sektion reflektiert Dürrenmatt über seine persönlichen Erfahrungen, seine künstlerische Entwicklung und die Ereignisse, die ihn geprägt haben. Hier sind die wichtigsten Punkte zusammengefasst:

Frühe Einflüsse und Kindheit im Dorf: Dürrenmatt beschreibt seine Kindheit und Jugend in der Schweiz, die von den politischen Umbrüchen der Zeit kaum beeinflusst war. Er reflektiert über seine Familie, insbesondere die Rolle seines Vaters, der Pfarrer

Künstlerischer Werdegang: Er spricht über seine ersten Schritte in der Literatur und Kunst, seine Studienzeit in Bern und Zürich, und wie diese Jahre seinen Schreibstil und seine Themenwahl beeinflussten.

Philosophische Überlegungen: Dürrenmatt teilt seine philosophischen Gedanken, die sein Werk durchdringen, und diskutiert darüber, wie seine Weltsicht in seinen Stücken und Geschichten zum Ausdruck kommt. Zentrale Themen sind die Absurdität des Lebens und die Ohnmacht des Individuums gegenüber größeren Mächten.

Berufliche Erfolge und Krisen: Der Teil dokumentiert seine beruflichen Höhen und Tiefen, die Erfolge und die Misserfolge auf der Bühne und die Zweifel, die ihn begleiteten. Er beschreibt auch den Einfluss von Kritik und öffentlicher Reaktion auf sein Schaffen.

Persönliches Leben und Krisen: Dürrenmatt gibt Einblicke in seine persönlichen Krisen, darunter familiäre und gesundheitliche Herausforderungen, und wie diese seine künstlerische Arbeit beeinflussten.

Der tief persönliche Charakter von „Labyrinth“ wird durch diese autobiografischen Elemente, die Einblicke in Dürrenmatts eigene Kämpfe und Erfahrungen bieten, machen den Text zu einer Art intellektuellem Tagebuch, das seine philosophische Entwicklung dokumentiert.

Ein besonders eindrucksvolles Thema in „Labyrinth“ ist Dürrenmatts Ansatz zur Frage des Erzählens selbst. Er stellt konventionelle Erzählstrukturen infrage und spielt mit der Idee, dass Geschichten nie wirklich abgeschlossen sind, sondern sich ständig weiterentwickeln und verändern. Diese Perspektive spiegelt seine Überzeugung wider, dass das Leben selbst ein unendliches Labyrinth ist, in dem der Mensch nach Bedeutung sucht.

In den autobiographischen Teil sind 3 Binnenerzählungen eingebettet: „Winterkrieg in Tibet“, „Der Rebell“ und „Mondfinsternis“. Die Texte folgen der Dramaturgie des Labyrinths und dem Grundbegriff des Gleichnisses.

Die drei Binnenerzählungen werde ich getrennt betrachten.

Inhalt / Zusammenfassung „Labyrinth“

Friedrich Dürrenmatts „Labyrinth: Stoffe I-III“ bzw. dieses unvollendete Projekt bildet die Essenz von Dürrenmatts späten Jahren und eröffnet neue Perspektiven auf sein Verständnis von Erzählen, der Rolle der Literatur und der existenziellen Fragen des Lebens.

Die Sammlung von Notizen, Fragmenten und Essays zeigt einen tief reflektierenden Geist, der mit den großen Fragen der Menschheit ringt. Das Labyrinth dient als Metapher für die chaotischen und oft unzusammenhängenden Bahnen menschlichen Denkens und Daseins. Diese Struktur ermöglicht es ihm, vielfältige Gedanken und Themen zu verweben und sich dabei einer strengen, linearen Erzählweise zu entziehen.

Eines der herausragenden Merkmale dieser Sammlung ist ihr freier, flexibler Aufbau. Dürrenmatt zeigt eindrucksvoll, wie er mit Leichtigkeit zwischen philosophischen Gedanken, persönlichen Erinnerungen und erfundenen Geschichten wechseln kann. Dadurch entsteht ein vielfältiges und dennoch zusammenhängendes Werk. Der Leser taucht in eine bunt wechselnde Welt seiner Ideen ein. Diese beschäftigen sich mit Themen wie Schuld und Verantwortung, der Unsicherheit und Absurdität des Lebens, sowie den Grenzen unseres Verstandes.

Dürrenmatt bleibt seinem Stil treu, indem er scharfsinnige und oft zynische Beobachtungen über die gesellschaftlichen und politischen Missstände seiner Zeit macht. Seine Reflexionen über die Natur der Gerechtigkeit und des Bösen spiegeln seine tiefe Skepsis gegenüber Dogmen und absoluten Wahrheiten wider. Er zeigt auf, wie menschliche Systeme und Glaubenssätze oft auf fragilen Fundamenten stehen und wie sie durch die Handlungskraft des Einzelnen beeinflusst werden können.

Letztendlich ist „Labyrinth: Stoffe I-III“ ein beeindruckendes Zeugnis eines Schriftstellers, der unermüdlich die Grenzen des menschlichen Denkens erkundet. Es fordert den Leser heraus, seine festgefahrenen Annahmen zu überdenken und offen für die Komplexität und Unsicherheiten der Welt zu sein. Dürrenmatts Werk bleibt aufgrund seiner Vielschichtigkeit und seines intellektuellen Tiefgangs von beständiger Relevanz. Es lädt dazu ein, immer wieder in seinem Labyrinth der Gedanken und Ideen zu wandern, wobei jeder Leser seine eigenen Entdeckungen machen kann.


Das Stoffe-Projekt

Wer tiefer in den zugrundliegenden Text „Labyrinth“ eintauchen möchte, dem empfehle ich die Recherche und Lektüre des Stoffe-Projekts.

Das Online-Version des Stoffe-Projekts ist frei zugänglich. Die textgenetische Edition besteht aus fünf Bänden, die aus dem Nachlass von Rudolf Probst und Ulrich Weber herausgegeben wurden.

„Im Jahr 1984 erschien bei Diogenes eine Taschenbuchausgabe in einer Auflage von 6 000 Exemplaren, aufgeteilt in zwei Bände (Band 1: Der Winterkrieg in Tibet. Stoffe I, detebe 21 155, Band 2Taschenbuchausgabe in 2 Bänden (1984): Mondfinsternis / Der Rebell. Stoffe II/III, detebe 21 156).

1990 kam es zu einer Neupublikation im Hardcover unter dem Titel Labyrinth. Stoffe I–III, parallel zur Erstpublikation des zweiten Bandes, Turmbau. Stoffe IV–IX.Ausgabe Labyrinth. Stoffe I–III (1990) Im Impressum steht: »Vom Autor revidierte Neuausgabe.« Der Text in Labyrinth. Stoffe.“

https://fd-stoffe-online.ch/text/2#d2e24402

Der Plan von Konolfingen

Leben und Werk mit Referenzstellen in den Stoffen

Sich selbst zum Stoff werden

Literaturverzeichnis

Dürrenmatt, Friedrich: Werkausgabe in siebenunddreißig Bänden, Band 28, Labyrinth Stoffe I-III, 1998, Diogenes Verlag AG Zürich.

Burkard, Philipp: Dürrenmatts „Stoffe“. Zur literarischen Transformation der Erkenntnistheorien Kants und Vaihingers im Spätwerk. A. Francke Verlag Tübingen und Basel 2004.

Friedrich Dürrenmatt – Das Stoffe-Projekt (Online-Version)

Weiterführende Links

Aus den Papieren eines Wärters: Die Falle / Rezension

Die Stadt (Rezension)

Schreibblogg: Projekt Friedrich Dürrenmatt

Diogenes Verlag

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