Die Panne Friedrich Dürrenmatt (Rezension)

„Die Panne“ mit einem Ausflug ins aktuelle Zeitgeschehen
oder „Die Panne“ in Afghanistan

Vielleicht ist Dürrenmatt so modern und aktuell, weil die Botschaft der Werke in jeder Zeit gilt. Ein tragisches Beispiel ist das Zeitgeschehen in Afghanistan.

Buchrezension Die Panne Friedrich Dürrenmatt

Dürrenmatt hat den Stoff „die Panne“ in drei unterschiedliche Formate gepackt. Das Hörspiel und die Prosafassung entstanden fast gleichzeitig. Die Bühnenfassung folgte erst 1979. Die Panne erhielt 1957 den Hörspielpreis der Kriegsblinden.

Diese Mehrfachverwertung hatte sicherlich auch finanzielle Gründe, aber auch die Freude am Ausprobieren, am Experimentieren, oder vielleicht auch den Zufall anders zugreifen lassen, steckt dahinter.

Die Panne besteht aus zwei Teilen. Im ersten Teil sinniert Dürrenmatt darüber, ob und wie Geschichten erzählen in der heutigen Zeit überhaupt noch möglich ist und bezeichnet „Die Panne“ als eine noch mögliche Geschichte..

Im zweiten Teil erzählt er die Geschichte von Alfredo Traps und seiner Autopanne.

„Die Panne thematisiert mithin die für Dürrenmatts »Dramaturgie der Panne« insgesamt typischen »nie lösbaren Auseinandersetzungen zwischen Sinngebung und Sinntilgung« (Neumann 1969, 32)Sie erzählt eine noch mögliche Geschichte von der Sinngebung und Sinntilgung durch Erzählen und führt vor, wie prekär Sinnstrukturen in der Moderne geworden sind.“

Dürrenmatt Handbuch 17.

Der Kritiker Werner Weber rezensierte das Werk. Er kritisierte Dürrenmatt und bemängelte seine sprachliche Nachlässigkeit.

Zusammenfassung/Inhalt „Die Panne“

Der Vertreter Alfredo Traps hat auf einer Geschäftsreise eine Panne. Er übernachtet in der Privatvilla eines pensionierten Richters, der mit seinen Freunden (ehemals Staatsanwalt, Verteidiger und Henker) und den Besuchern ein Spiel veranstalten: Sie simulieren eine Gerichtsverhandlung, bei welcher der Besucher die Rolle des Angeklagten einnimmt, aus dessen Leben ein Verbrechen extrahiert wird.

Dem „Gericht“ gelingt es, Traps ein Kapitalverbrechen nachzuweisen, wovon dieser selbst am Ende des Abends und dem Genuss einer entsprechenden Menge Alkohols überzeugt ist.

Das Besondere ist nun, wie Dürrenmatt die drei Varianten enden lässt. Alfredo Traps ist für ihn ein „Jedermann“. Und Jedermann steht für jeden von uns. Und jeder von uns geht mit Schuld anders um. Und genau das spielt Dürrenmatt in den drei Varianten „Die Panne“ durch.

In der Prosafassung finden am nächsten Morgen der Richter und seine Freunde Traps erhängt vor.

In der Hörspielfassung schläft Traps seinen Rausch aus und fährt unbeeindruckt mit seinem Leben fort. Alles bleibt so wie es war. Der Abend hat keine Auswirkung.

Auch in der Bühnenfassung tötet sich Traps. Das Ende wird hier aber vorweggenommen. Das Stück beginnt damit, dass alle Beteiligten um seinen Sarg stehen und das Geschehen kommentieren.

Ansätze für eine Analyse oder Interpretation

Natürlich ist die Namensgebung schon bemerkenswert: Alfredo Traps – trap ist im Englischen eine Falle. Geht Alfredo Traps in die Falle? Staatsanwalt Zorn, Advokat Kummer und Pilet, der ehemalige Henker.

Der Gedanke an das „Jüngste Gericht“ liegt nahe.

Sicherlich muss man es auch im geschichtlichen Hintergrund der 50erJahre lesen. Der Krieg war vorbei. Wie geht man mit der Schuld um? Der Schuld zu den Tätern zu gehören, und der Schuld zu den untätigen Zuschauern zu gehören? Wir finden in einigen Stücken Dürrenmatts die Figur des Richters. Und wir finden genauso die Figur des Rebellen, des Individuums, der auf seine Art „die Welt wieder in Ordnung bringen“ möchte.

Dürrenmatt stand Massen- oder Gruppenaktivitäten kritisch gegenüber. Er zeigt oftmals Individuen, die in eine Grenzsituation geraten. Sicherlich kann man Dürrenmatt im Umfeld der Existenzphilosophie einordnen. Er lehnte jedoch Sartres Wendung zum Marxismus genauso ab, wie Brechts Lehrstück Dramatik. Am nächsten kommt er wohl Albert Camus und dessen Begriff des Absurden. Auch der Mythos des Sisyphos, im Sinne einer individuellen Rebellion entspricht Dürrenmatts labyrinthischen Weltbild und seinem Konzept des „mutigen Menschen“.

Was finden wir dazu in der Stoffe-Edition

Über den Richter der mit seinen Freunden „Gericht spielt“ finden wir Folgendes:

[…] sie spielen einen Welthintergrund, von dem die Opfer nichts ahnen, nichts ahnen können. Gerechtigkeit, Gnade, Kausalität, Zufall: diese Motive gehören bei mir zum gleichen Gedankenmechanismus. Ich kann sie auch nennen, aber wie die Begriffe nichts Festes sind, so sind auch die Motive nichts Festes, sie sind nicht an sich vorhanden, sie sind Sprache, Worte, sterben ihren Wert nur durch die Konstruktion als Ganzes erhalten, die ich mit ihnen errichte.

Die Stoffe Bd. 1, S 101.

„Die Panne“ entstand aus einer Anekdote:

Nach dem Zusammenbruch der Österreichisch-Ungarischen Monarchie begegnete ein entlassener Hofrat ebenfalls entlassenen Kanzlisten, der erstaunlich munter
aussah, im Gegensatz zum vergreisten Hofrat. Nach dem Grunde seiner blühenden Gesundheit beantwortet brennen er antwortete der Kanzlist, habe eine ganze Fuhre Akten aus ihrem alten Ministerium gekauft, der Mann eben ver wollte, undarbeite die Akten Nonne durch. »Wissen Sie was«, antwortete der entlassene Hofrat seinen entlassenen Kanzlisten, »wissen Sie was, wenn Sie so eine Akte durchgearbeitet haben, könnten Sie sterben nicht zu mir rüberschicken, damit ich sie unterschreiben kann?«

Die Stoffe Bd.1, S. 94.

Wie man sehen kann, lohnt es sich, die frei zugängliche „Stoffe-Edition“ zu besuchen und einfach mal mit der Suchfunktion „Die Panne“ eingeben und nachlesen, was Dürrenmatt darüber zu sagen hatte.

Hörbuchfassungen

Die Erzählung „Die Panne“, ein Diogenes Hörbuch wird von Christian Brückner gelesen und dauert 1 Std und 51 Minuten. Ist als Download u. a. bei Audible erhältlich.

Dann gibt es noch das Hörspiel vom NDR 1956, das mit dem Hörspielpreis der Kriegsblinden 1957 ausgezeichnet wurde.

Fazit/Kritik „Die Panne“

Als ich beim Recherchieren herausfand, dass Dürrenmatt „Die Panne“ in unterschiedlichen Varianten enden ließ, dachte ich sofort an Paul Austers „4 3 2 1“, in dem er das Leben von Archibald Ferguson, nach dem Motto „Was wäre geschehen, wenn“ viermal variierte. Dürrenmatt machte das in dieser kleinen Geschichte in umgekehrter Reihenfolge: Während Auster zeigt, wie jede einzelne Entscheidung das Leben verändern und den Unterschied ausmachen kann, zeigt Dürrenmatt, wie der Einzelne mit der Schuld seiner Entscheidung umgeht. Vor allem: Erkennt er die Schuld, oder verdrängt er das Geschehene? Oder glaubt er, die richtigen Entscheidungen getroffen zu haben, und nicht schuldig zu sein.

Ich bin immer wieder begeistert, wie psychologisch Dürrenmatt seine Texte aufbaut und wieviel Inhalt zwischen den Zeilen versteckt, zu finden ist.

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„Die Panne“ in Afghanistan oder „Was würde Dürrenmatt dazu sagen?“

Man sollte glauben, dass Amerika und seine Alliierten, wozu auch Deutschland gehört, jahrelang Zeit gehabt hätten, einen Plan für einen Truppenabzug und die Sicherung der Ortskräfte, die diesen Kampf, der auch unser Kampf (oder habe ich das falsch verstanden? Wir verteidigen das Land und die Demokratie am Hindukusch?), auszuarbeiten, und der nur noch aus der Schublade geholt werden muss.

Aber das ist nicht der Fall. Wie wird diese Panne, die wir live in den Medien verfolgen können, aber leider nicht als Aufführung, sondern als Realität, enden?

Wie werden wir mit unserer Schuld umgehen?

Wird überhaupt jemand die Schuld auf sich nehmen, und sein Amt aufgeben?

Oder wird alles wie gewohnt weitergehen, wir schütteln uns, wählen wie gewohnt und gehen unserer Wege?

Oder werden die Verantwortlichen vor die Presse treten und das Verbrechen aufarbeiten und dafür Sorge tragen, unser Möglichstes zu tun, um zu retten, was noch zu retten ist? Und werden wir dafür sorgen, dass diese Fehler nicht wieder geschehen?

Vor allem, werden wir, die Wähler, das Geschehene bei der Wahl berücksichtigen?


Ich kann nur empfehlen, „Die Panne“ in allen drei Formaten zu lesen. Dürrenmatt zeigt hier virtuos sein dramatisches Können.


Weiterführende Links


Überblick Prosawerk
Zum „Dürrenmatt-Verlag“

Weitere Rezensionen

Projekt Dürrenmatt
Rezension „Friedrich Dürrenmatt“ von Ulrich Weber

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Connie Ruoff

Mein Name ist Connie Ruoff, ich bin 1960 geboren, habe Philosophie und Germanistik studiert. Damit mir zu Hause nicht langweilig wird, studiere ich"Bloggen professionell gemacht" in der Fernakademie. Ich lese alles, was ich finden kann.

1 Kommentar zu „Die Panne Friedrich Dürrenmatt (Rezension)“

  1. Benutzerbild von Petra Gleibs

    „ Der Demokrat Chuck Hagel, Verteidigungsminister unter Barack Obama, räumte bei CNN ein, dass der US-Einsatz in Afghanistan von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen sei: „Wir haben nie die Kultur, die Religion, das Stammessystem und die Geschichte verstanden. Und wenn du das nicht tust, bist du zum Scheitern verurteilt.“
    Quelle: Tagesschau.

    Kann man dann noch von einer Panne sprechen?

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