Autobiographische Erzählung oder Thriller

Wer ist diese „L“, die immer mehr von Delphine in Besitzt nimmt. Ist sie einfach nur eine gute Freundin? Welche Ziele verfolgt „L“?

„Nach einer wahren Geschichte“ ist ein spannender Roman, dessen Inhalt zahlreiche Interpretationshinweise aufzeigt. Der achte Roman der französischen Schriftstellerin ist meine erste Begegnung mit Delphine de Vigan. Der Roman ist mit Zitaten von Stephen King aus „Sie“ versehen.

Was steckt hinter dem Geschehen? Spielt Delphine de Vigan mit den Leser*Innen? Ist es eine autobiographische Erzählung? Um wen geht es überhaupt? Geht es um die Schriftstellerin Delphine de Vigan oder geht es um die Hauptfigur ihres Romans „Nach einer wahren Geschichte“, die zufällig Schriftstellerin ist und Delphine heißt, oder verschmelzen  die Schriftstellerin und die Protagonistin zu einer Person?

Zusammenfassung/Inhalt „Nach einer wahren Geschichte“

Die Schriftstellerin Delphine gerät nach dem Erfolg ihres Debütromans in eine Schaffenskrise. Sie ist nicht mehr in der Lage zu schreiben. Nicht nur, als Schrifstellerin nicht mehr zu schreiben, sondern nicht einmal eine kleine schriftlichen Notiz bringt sie auf’s Papier. Schon vor dem Computer zu sitzen macht ihr Angst.

Dann lernt sie anscheinend zufällig die geheimnisvolle „L“ kennen. L ist eine Frau, deren Erscheinung sie anzieht und auf eine gewisse Art auch begehrt. So wäre sie selbst gerne!

„L. war genau die Sorte Frau, die mich fasziniert. L. war wie aus dem Ei gepellt, das Haar glatt, die Nägel perfekt gefeilt und in einem Zinnoberrot lackiert, das in der Dunkelheit zu leuchten schien. Ich habe Frauen, die Nagellack tragen, immer bewundert. Lackierte Nägel verkörpern für mich eine bestimmte Vorstellung von weiblicher Eleganz, die mir, wie ich schließlich einsehen musste, zumindest in dieser Hinsicht für immer verwehrt bleiben wird.


Ich habe zu breite, zu große und in gewisser Weise zu starke Hände, und wenn ich mir versuchsweise die Nägel lackiere, wirken sie noch größer, als würde dieser vergebliche Verkleidungsversuch ihre Männlichkeit nur betonen (der Vorgang ist mir ohnehin immer mühsam erschienen, die Bewegung an sich verlangt eine Genauigkeit und Geduld, die ich nicht besitze).“

 – Nach einer wahren Geschichte: Roman (Taschenbücher) von Delphine de Vigan

„L“ hat etwas von „Needfull Things“. Wenn Delphine etwas braucht, L gibt es ihr. Delphine fühlt sich nicht imstande, etwas zu erledigen, „L“ übernimmt es. Jedes kleine Problem, das vor Delphine auftaucht, wird von „L“ aus dem Weg geräumt.

Immer wieder blitzte mir beim Lesen, die Frage auf: „Wer ist diese ‚L‘?“, je weiter man liest, desto drängender wird aus dieser Frage: „Gibt es ‚L‘ überhaupt oder ist ‚L‘ ein Gespinst Delphines?“

Parallel zu meinen Zweifeln verfolgte ich, wie L immer mehr die Identität von Delphine übernahm. Als es zum Showdown kommt, stellt sich heraus, dass keiner aus dem Umfeld von Delphine jemals „L“ gesehen oder Kontakt mit ihr hatte.

Delphine de Vigan überlässt den Leser*Innen die Antwort auf die Frage, ob es Einbildung oder Realität ist.

Worum geht es in „Nach einer wahren Geschichte“?

Es geht um Manipulation! Es geht um Realität und Fiktion. Wie nah können beide nebeneinander liegen? Es geht um das Alter Ego. Inwieweit hat ein Schriftsteller ein Alter Ego? Es geht auch um Verführung! 

Welche Szenarien kann ein Gehirn entwickeln, um mit Depression und anderen Schwierigkeit fertig zu werden und uns zu schützen.

Der Text ist fast schon als Psychogramm zu lesen. Ein Text der mich als Leserin immer wieder verwirrt und berührt hat. Man entdeckt Spuren eines Verhaltens, das jeder von uns kennt.

Oder ist es tatsächlich geschehen?

Auch die Rolle der Fiktion in der Literatur im Gegensatz zum Autobiographischen Schreiben, wird immer wieder von Delphine und „L“ diskutiert.

Haben Delphine und „L“ eine gemeinsame Vorgeschichte. Zwischendurch werden Gedanken dazu vorgebracht, aber nicht aufgelöst.

Hörbuch „Nach einer wahren Geschichte“

Das Hörbuch (9 h 37 m) wird von Martina Gedeck gesprochen, die ihre Stimme gekonnt einsetzt um das verwirrende Spiel um Wirklichkeit und Fiktion zu unterstreichen. Eine sehr gute Besetzung!

Fazit/Kritik „Nach einer wahren Geschichte“

Ein Buch, das ich nicht so schnell vergessen werde. Je nach Leser*In wird der Inhalt des Romans sich verändern. Man könnte es fast schon interaktiv nennen. Und was sagt die Interpretation der Erzählung über mich als Leser*in selbst aus?

Ja! Das Buch hat mir gut gefallen.

Warum? Weil es von mir eine Stellungnahme erwartet! Halte ich es für einen Thriller. Handelt es sich bei „L“ um eine gefährliche Soziopatin? Oder ist Delphin in einer schweren Depression gefangen, die paranoide Züge aufweist?

Man schwankt immer wieder. Selbst jetzt – drei Wochen nach Leseende – keimt immer wieder der Verdacht bei mir auf: „Und wenn ‚L‘ doch existiert?“

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Connie Ruoff

Mein Name ist Connie Ruoff, ich bin 1960 geboren, habe Philosophie und Germanistik studiert. Damit mir zu Hause nicht langweilig wird, studiere ich"Bloggen professionell gemacht" in der Fernakademie. Ich lese alles, was ich finden kann.

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