Es ist ein Sturm der Gefühle, dem man nicht entgehen kann

„Mann und Frau“ ist meine erste Begegnung mit Zeruya Shalev. Es ist kein vorsichtiges Kennenlernen. Sie wirft sich mir entgegen – es gleicht schon einem Übergriff, der ohne jegliche Zurückhaltung stattfindet.

Sind es Szenen einer Ehe, oder Beschreibungen eines Kampfes? Wahrscheinlich beides! Und wie in jedem Krieg gibt es Kollateralschäden oder auf Amerikanisch hört es sich noch passender an. Ausgeknockt durch Friendly Fire! Und wen trifft es? So wie immer, sind die Kinder, in diesem Fall ist die Tochter Noga das Opfer. Sie wird benutzt und instrumentalisiert.

Eine Siegerehrung wird es nicht geben. Auch ein Wiederaufbau hat keinen Sinn, weil die Konstruktion keinen Halt – keine Statik mehr bietet.

Die israelische Schriftstellerin zeigt in ihrem Roman «Mann und Frau», ungeschönt und unzensiert eine mit Problemen behaftete Ehe. Dabei werde ich zum Teilnehmer einer niedergeschriebenen Psychoanalyse. Man erträgt es kaum und kann sich dem Geschehen doch nicht entziehen.

Auf das 2001 erschienene Buch hat mich Nikoletta Kiss aufmerksam gemacht. Sie beschreibt in ihrer Rezension: «Ich werde genötigt, zu erleben, wie sich diese Menschen wie ein Brocken Erde gegenseitig zerreiben, das Kind als Waffe missbrauchen, ihre Ehe zum Gefängnis machen.»

Der Inhalt ist schnell zusammengefasst: Udi und Na’ama sind verheiratet und haben die Tochter Noga. Das Kind bewegt sich wie auf einem Minenfeld zwischen Udi und Na’ama. Es gibt wahrscheinlich mehr darüber zu berichten, was das Paar trennt, als was sie gemeinsam haben.

Beide haben Schuldgefühle gegenüber dem Partner, wenn. Aus dem Gefühl der Schuld wird lähmende Wut. Sie halten an der Beziehung fest. Udi treibt es scheinbar aus dem Haus. Bei Na’ama richtet sich die Wut nach innen.

Dann geschieht es: Der scheinbar starke Udi bricht zusammen. Er kann sich nicht mehr bewegen. Das löst bei Na’ama befremdliche Gefühle aus. Schamlos vertraut sie mir an:

„{…}ich kann mich nicht mehr um andere kümmern, werde ich sagen, ich werde Schwangerschaftsurlaub ohne Schwangerschaft nehmen, aber seine Krankheit werde ich geheimhalten, damit man mich nicht zwingt, ihn zu Ärzten zu bringen, nur wir werden ihn pflegen, ein verwöhnter Gefangener wird er sein, ein Riesenbaby, das sich noch nicht auf den Bauch drehen und krabbeln kann, so behalten wir ihn für uns, er soll weder gesund werden noch sterben, das Baby, das ich mir gewünscht habe, das Baby, das uns zu einer Familie machen wird.“

Dieses Bekenntnis ist vielleicht ein Schlüssel zum Verständnis. Na’ama reicht nicht, was ihr Udi gibt. Sie möchte ihn besitzen, er soll, wie ein Baby ohne sie nicht lebensfähig sein. Nur dann kann sie sich seiner Liebe sicher fühlen.

Na’ama erzählt weniger das Geschehen, als das Geschehene und die eigene Reaktion und die Gefühle darauf. Man könnte es fast schon eine Selbstanalyse nennen, die sie vornimmt. Sie legt ihr Leben vor mir der Leserin bloß, mit der Erwartung, dass ich sie doch verstehen muss. Diese Forderung, weckt unterschiedliche Reaktionen bei mir.

Unverständnis darüber, dass sie nicht loslassen kann. Das unangenehme Gefühl, die Position einer Voyeurin einzunehmen. Wut darüber, dass weder Udi noch Na’ama Rücksicht auf ihre Tochter Noga nehmen, sondern sie als Druckmittel einsetzen.

Ich frage mich, ob es diesen geschilderten Charakteren überhaupt möglich ist, aus ihren Handlungsmustern langfristig auszubrechen, oder ob es nicht wieder zu einer ewigen Wiederkehr in das gewohnte Leben kommt.

Und dann gibt es Textstellen in diesem Buch, die mich innehalten lassen, weil deren Schönheit mich berührt:

„Und sofort schweigt sie, betrachtet mich ängstlich, die Freude der Armen hat sich an unseren Tisch gesetzt, und wir gehen beide sehr vorsichtig mit ihr um, mit dieser neuen Besucherin, um sie nicht mit allzu lauten Worten in die Flucht zu schlagen.“

Nein. Es gibt kein Happy End!

Nein. Es war keine verlorene Zeit, das Buch zu lesen. Im Gegenteil, ich bin begeistert, dass jemand so die Kunst des Schreibens beherrscht, dass ich so emotional reagiere.

Und das Buch hat mir vor Augen geführt, was für ein Glück es ist, wenn die Ehe, Partnerschaft oder Beziehung in einem gesünderen Zustand ist. Es ist nicht selbstverständlich. Das Buch zeigt auch, wie wichtig Kommunikation und wie schädlich nicht ausgesprochene Wünsche oder Wunden sind.

Ein Buch, das sich zu lesen lohnt!

„Mann und Frau“

  • „Mann und Frau“
  • Zeruya Shalev
    Herausgeber ‏ : ‎ Berlin Taschenbuch Verlag; 2. Edition (1. September 2002)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Taschenbuch ‏ : ‎ 400 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3833302690
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3833302695
  • Originaltitel ‏ : ‎ Ba’al we-ischa

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Benutzerbild von Connie Ruoff

Connie Ruoff

Mein Name ist Connie Ruoff, ich bin 1960 geboren, habe Philosophie und Germanistik studiert. Damit mir zu Hause nicht langweilig wird, studiere ich"Bloggen professionell gemacht" in der Fernakademie. Ich lese alles, was ich finden kann.

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