Manchmal ist mitzumachen, der größte Widerstand, den man leisten kann

„Die Zeuginnen“ von Margaret Atwood ist die langersehnte Fortsetzung von „Der Report der Magd“. Falls du dieses Buch noch nicht kennst, würde ich dir empfehlen, damit anzufangen. Zur Rezension.

»Der Report der Magd« von Margaret Atwood wurde schon 1985 unter dem Originaltitel »The Handmaid’s Tale« veröffentlicht. Volker Schlöndorf verfilmte den Stoff unter dem Titel »Der Bericht der Dienerin«, das Hörbuch erschien 2017 und wird von Vera Teltz und Charles Rettinghaus gesprochen, seit 2017 läuft die Fernsehserie »The Handmaid’s Tale und 2019 erschien das gleichnamige Graphic Novel von Renee Nault.

Nachdem ich mich ein wenig mit den schon genannten Formaten des Stoffs »Der Report der Magd« auseinandergesetzt habe, beschäftigte ich mich mit dem 2017 erschienen zweiten Teil „Die Zeuginnen“.

Zum Weltenbau „Die Zeuginnen“

„Der Report der Magd“ genauso wie „Die Zeuginnen“ spielt in einer nicht weit entfernten Zeit in der Republik Gilead, früher die Vereinigten Staaten von Amerika. Gilead ist eine theokratische Diktatur, die den Frauen sämtliche Rechte abspricht. Frauen verfügen über kein Eigentum, sondern was sie haben oder hatten, fällt an den nächsten männlichen Verwandten. Frauen sind grundsätzlich Hausfrauen, die Kinder gebären sollen. Die Rollen in der Gesellschaft sind eindeutig festgelegt. Alles wird durch Polizei und Geheimagenten kontrolliert. 

Die Söhne Jakobs, die neuen Machthaber berufen sich auf christlich-biblische Texte. Die Menschen müssen sich entsprechend ihrer nun zugeteilten sozialen Funktionen kleiden. Jeder sieht sofort, welche Stellung der Einzelne für die Gesellschaft Gileads hat. Das Ziel ist es, die Reproduktionsrate der Menschen zu erhöhen, nachdem viele Menschen durch die begangenen Umweltsünden steril wurden. 

Die Gesetze unterscheiden zwischen Geschlecht, Aufgabe und der gesellschaftlichen Stellung. Grundsätzlich hat sich die Frau dem Manne unterzuordnen. Männer tragen Uniformen.

Frauen, die rot tragen sind aufgrund ihrer Fruchtbarkeit Mägde und sind Allgemein Eigentum. Dafür gibt es Brandzeichen. Die Ehefrauen sind in der Hierarchie innerhalb der Frauen am höchsten angesiedelt. Am untersten Ende stehen die Unfrauen und die Jezebels, die in „nicht vorhandenen Clubs“ für das Amüsement der Kommandanten des Glaubens stehen. 

Die Zeuginnen, der Report der Magd, Kampa Verlag Margaret Atwood

Zusammenfassung „Die Zeuginnen“

„Die Zeuginnen“ ist keine Fortsetzung von „Der Report der Magd“, sondern beleuchtet das System aus anderen Perspektiven, dabei ist die Autorin sich treu geblieben und greift wieder auf Aufzeichnungen der Figuren oder Charaktere zurück. Hier sind es Zeugenaussagen.

Wir haben sozusagen drei Protagonistinnen. Besonders spannend fand ich die Aufzeichnungen einer der „Tanten“.

Das Hologramm von Haus Ardua

„Nur Tote dürfen Denkmäler haben, ich aber habe zu Lebzeiten eines bekommen. Schon jetzt bin ich versteinert. Dieses Denkmal sei ein kleines Zeichen der Anerkennung für meine zahlreichen Verdienste, hieß es in der Würdigung, die von Tante Vidala vorgetragen wurde.“

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„Tanten“ sind in Gilead Frauen, die in der Hierarchie wohl über allen anderen Frauen stehen. Tanten haben große Privilegien gegenüber anderen Frauen, sie dürfen z. B. schreiben und lesen. Diese Privilegien erhalten sie als Bezahlung für ihre Handlangerdienste. Mittels ihrer Ausbildung und dem Rückhalt der Wächter, manipulieren, konditionieren und zwingen sie junge Frauen, in die vom System vorgesehene Rolle. Als ich „Der Report der Magd“ las, entwickelte ich große Wut, Ablehnung und Abneigung gegenüber den „Tanten“. Das war vielleicht etwas zu oberflächlich gedacht. Erstens muss man dabei miteinbeziehen, dass es eigentlich nur drei Möglichkeiten für junge Frauen gab:

  • Ehefrau zu werden.
  • dem System zu entfliehen.
  • oder sich berufen zu fühlen, und Tante zu werden, ohne jemals zu heiraten oder Kinder zu bekommen.

Vielleicht wäre ich selbst in dieser Lage Tante geworden.

Aus der Sicht von Agnes oder Abschrift der Zeugenaussage 369A

„Die Männeraugen, die immer hierhin schweiften und dorthin schweiften wie die Augen eines Tigers, diese Scheinwerferaugen mussten abgeschirmt werden von der betörenden und wahrhaft blendenden Macht, die wir waren – von unseren wohlgeformten oder dünnen oder dicken Beinen, von unseren anmutigen oder knubbligen oder wurstförmigen Armen, von unserer Pfirsichhaut oder unserem fleckigen Teint, von unseren glänzenden Locken oder unseren störrischen Mähnen oder unseren strohigen Zöpfen, es spielte keine Rolle. Wie wir auch aussehen mochten, ob wir wollten oder nicht, wir waren Fallstrick und Verlockung, wir waren die unschuldige und schuldlose Ursache dafür, dass wir allein durch unser Dasein die Männer trunken machen konnten vor Lust, bis sie ins Taumeln gerieten und in den Abgrund stürzten – in welchen Abgrund eigentlich?,“

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Die künftigen Ehefrauen werden in obigem Sinn erzogen, gedrillt, konditioniert, abgerichtet oder motiviert. Es gibt sicherlich noch viele schöne weitere Worte dafür. In Gilead galt ein junges Mädchen, sobald die Menstruation eintrat, als Frau. Diese jungen unerfahrenen „Frauen“ wurden weitaus älteren und gut etablierten Männern – den Kommandanten – im Namen Gottes, durch eine Heirat zugeführt. Die Tanten und die Eltern hatten das Sagen. Wobei die Tanten sicherlich den größten Einfluss auf die Wahl des Bräutigams hatten.

In einigen Dystopien haben die Menschen, Bürger, bzw. ein Teil der Menschen, keine Bildung und keinen Zugang zu Büchern oder historischen Aufzeichnungen. Allen ist klar, dass Wissen und Bildung die größten Waffen gegen Unterdrückung sind.

Aus der Sicht von Daisy (Nicole) oder Abschrift der Zeugenaussage 369B

„Es gab noch eine dritte Art von Personen, die in den Spürhund kamen, ohne etwas zu kaufen: Junge Frauen in langen silbrigen Kleidern und mit weißen Hüten auf dem Kopf, die sich Perlenmädchen nannten und angeblich Missionarinnen waren, die Gottes Werk für Gilead taten. Sie waren noch um einiges unheimlicher als George. Sie zogen durch die Innenstadt,“

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Daisy lebte die letzten Jahre in Freiheit in Kanada. Daisy lässt sich von Perlenmädchen missionieren. Der Leser erfährt mehr über die Zusammenhänge. Es ist interessant Gilead aus dieser Perspektive zu betrachten. Aber auch in der Fiktion ist es wie in der Realität. Die restliche Welt schaut entsetzt auf Gilead, aber letztendlich wird nichts gegen den Frauen verachtenden Staat unternommen.

Sprachstil „Die Zeuginnen“

Margaret Atwood zeigt dem Leser den Staat Gilead mit Aufzeichnungen der drei oben genannten Charaktere. Dabei handelt es sich ein Hologramm des Hauses Ardua und Zeugenaussagen zweier Mädchen. Diese drei Personen sind miteinander verflochten. Diese Protokolle wurden während eines Symposions über Gilead, auf der Historikertagung am 30.Juni 2197 erstellt.

Das gibt dem Ganzen noch mehr Realitätsnähe.

Hörbuch „Die Zeuginnen“

Das Hörbuch „Die Zeuginnen“ wird von Leslie Malton (Tante Lydia), Eva Meckbach (Agnes) und Inka Löwendorf (Nicole) gelesen. Leider sind die Stimmen manchmal sehr schwierig auseinander zu halten.

Das im Osterworld am 10.09.2019 erschienene Hörbuch hat eine Länge von 13 Stunden und 10 Min. Ich habe das Hörbuch mit Audible gehört.

Kritik

„Bevor die Worte tatsächlich zu Papier gebracht wurden, wurde Die Zeuginnen teilweise in den Köpfen der Leserinnen und Leser seines Vorgängers geschrieben, des Reports der Magd. Immer wieder fragten sie, was nach dessen Ende passiert sei. Fünfunddreißig Jahre sind eine lange Zeit, um über mögliche Antworten nachzudenken, und die Antworten haben sich mit der Gesellschaft gewandelt; aus Möglichkeiten wurden Aktualitäten. Die Bürger vieler Länder, die USA eingeschlossen, stehen heutzutage unter mehr und vielfältigerem Stress als vor drei Jahrzehnten.“

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Ich glaube, genau das, dass wir alle Zeit hatten, in unserem Kopfkino eine eigene Fortsetzung entstehen zu lassen, macht es diesem Buch und dem Leser nicht einfach. Hinzu kommt die HBO Serie, von der ich glücklicherweise erst einen Teil gesehen habe. Somit bin ich also von der Serie nicht beeinflusst.

Ich finde es zuerst einmal von Margaret Atwood sehr mutig, sich auf einen weiteren Teil einzulassen. Die Autorin schaut diesmal aus einer anderen, nicht weniger interessanten Perspektive auf Gilead.

Vielleicht ist es manchmal die beste und oft auch die einzige Möglichkeit, Widerstand zu leisten, um das System von innen zu beschädigen.

Lies selbst und mach dir ein Bild! Es lohnt sich, auch wenn man die Welt schon kennt.

Links

Rezension „Der Report der Magd“

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Connie Ruoff

Mein Name ist Connie Ruoff, ich bin 1960 geboren, habe Philosophie und Germanistik studiert. Damit mir zu Hause nicht langweilig wird, studiere ich"Bloggen professionell gemacht" in der Fernakademie. Ich lese alles, was ich finden kann.

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