Was ist das Besondere an „Heidegger ein deutsches Leben“

Der frühere FAZ-Redakteur Lorenz Jäger hat schon über Theodor Wiesengrund Adorno und Walter Benjamin geschrieben. Mit „Heidegger – ein deutsches Leben“ untersucht er chronologisch anhand Heideggers Schriften, Briefen und weiteren Dokumenten, Heideggers Denken. Es gibt viele Biografien Heideggers. Was ist neu an dieser Biografie?

Es ist die erste Biografie, nach der Bearbeitung der schwarzen Hefte aus Heideggers Nachlass. Durch diese Hefte konnte 2015 einwandfrei belegt werden, dass der deutsche Philosoph ein Antisemit war.

„Heidegger Ein deutsches Leben“ – Kann man Heidegger unbefangen gegenübertreten?

Sofort stellte sich mir die Frage, wie ich persönlich der Person Martin Heidegger gegenüber stehe.

Martin Heidegger, ein Philosoph mit zahlreichen Liebschaften, Hannah Arendt, Elisabeth Blochmann u.w.
Hierzu muss aber auch erwähnt werden, dass Elfride eine Affäre mit ihrem Jugendfreund Dr. Friedel Caesar hatte. Von ihm erwartete sie ein Kind. Heidegger kannte die Umstände.

(…) dass Friedel Dich liebt, wusste ich längst – Dich darüber zu fragen wäre mir kleinlich vorgekommen – gewundert hat mich zuweilen, dass Du mirs nicht eher sagtest.“
S.103.


Martin Heidegger, ein Philosoph, der Kollegen denunzierte?

Nicht ganz leicht findet man eine Formel für Heideggers Verhalten gegenüber seinen jüdischen Schülern und Kollegen. Mit einigen markanten Ausnahmen kann man es als einerseits loyal bezeichnen, wobei andererseits die vom neuen Regime erlassenen Beschränkungen gegenüber Juden nie grundsätzlich in Frage gestellt werden.“
S. 285.

Martin Heidegger, ein Philosoph, der den Nationalsozialismus und vor allem Adolf Hitler verherrlichte.

„(…) der Botaniker Friedrich Oelkers, wendet sich an Jaspers mit der Bitte um eine gutachterliche Stellungnahme: «Ich persönlich kann mich der Tragik nicht verschließen, die seine Figur als Rektor überschattet. (…) Der Nationalsozialismus, den er sich zurechtgemacht hatte, hatte mit der Wirklichkeit nichts gemein. Aus diesem luftleeren Raume heraus agierte er als Rektor, fügte der Universität unendlichen Schaden zu und sah plötzlich überall Scherben um sich herumliegen.“
S. 388.


Martin Heidegger, ein Philosoph, der seine Gesinnung nie widerrief.

Kann man unbefangen die Biografie dieses Menschen lesen, ohne das Wissen über seine Gesinnung mit einzubeziehen?

Die Frage muss sich jeder selbst beantworten. Ich kann es nicht. Trotzdem war ich sehr interessiert daran, wie ein Mensch beschaffen sein muss, der auf der als „Zauberer von Meßkirch“ bezeichnet wurde und gleichzeitig der Urheber der schwarzen Hefte war.

„Heidegger Ein deutsches Leben“ – Darf man Heidegger unbefangen gegenübertreten? 

1933 trat Heidegger der NSDAP bei. Hannah Arendt empfand das, wie sie es später nannte,  die „Entfremdung von Feinden“.

Das ist die eine Sache, etwas viel Schwerwiegenderes ist für mich, dass er sich bis zu seinem Tode nicht davon distanziert hat.

Jürgen Habermas veröffentlichte im Juli 1953, noch vor Beendigung seiner Dissertation, einen Artikel in der FAZ unter der Überschrift „Mit Heidegger gegen Heidegger denken: Zur Veröffentlichung von Vorlesungen aus dem Jahr 1935“. In diesen Vorlesungen wurde die Nähe der Person Martin Heideggers und seines Denkens angeprangert. (Vgl. Habermas Handbuch. S.3.)

Lorenz Jäger zeigt uns in seiner Biografie, anhand von Heideggers Textdokumenten nun das Bild eines Mannes mit vielschichtigen Seiten.

Gerade das Kapitel, „Hannah Arendt, Schülerin und Geliebte“ zeigt einen leidenschaftlich Liebenden, der zu Beginn sogar in einer Art von Minne Hannah Arendt völlig ergeben war. 1927 schrieb ihr Heidegger:

„Ich kann und will nicht Ihre treuen Augen, Ihre liebe Gestalt trennen von Ihrem reinen Vertrauen, der Güte und der Lauterkeit Ihres mädchenhaften Wesens.“
S. 165.

Fazit/Kritik „Heidegger – ein deutsches Leben“

Der Titel irritiert mich. Was soll uns dieser Titel sagen? Heidegger ein deutsches Leben?

In „Heidegger – ein deutsches Leben“ nimmt der Autor keine wertende Stellung ein. Heideggers Gesinnung wird erwähnt und auch geschildert. Aber es nimmt meines Erachtens zu wenig Bedeutung ein.

Das Buch liegt nun seit über einem Jahr auf meinem Schreibtisch. Ich versuchte immer wieder, es vorurteilslos zu lesen. Ich habe versagt.

Heideggers Texte mögen überzeugen, wenn man von der Figur des Menschen Martin Heidegger absieht. Ich kann das nicht. Für mich zeigt sich der Mensch nicht in seinen Worten, sondern wie Jean-Paul Sartre in „Der Existentialismus ist ein Humanismus“ schrieb, der Mensch zeigt sich in seinen Taten. Nach Überzeugung Jean-Paul Sartres definiert der Mensch sein Wesen in einem lebenslangen Prozess ausschließlich durch seine Taten.

„Der Mensch ist wozu er sich macht“ – Jean-Paul Sartre

Lorenz Jäger ist es gelungen, eine Heidegger-Biografie zu schreiben, die den Inhalt seiner schwarzen Hefte mit betrachtet. Ich habe viel Neues über Heidegger erfahren. Es hat sich für mich sehr gelohnt, diese Biografie zu lesen, auch wenn sie meine Einstellung zu Martin Heidegger nicht änderte, zeigt sie ein komplexes Bild dieser Zeitgeschichte.

Bibliografie

Heidegger cover

Verlag: Rowohlt Berlin
Erscheinungstermin: 14.09.2021
Lieferstatus: Verfügbar
608 Seiten
ISBN: 978-3-7371-0036-6
Autor: Lorenz Jäger

Weitere Links

Rowohlt Verlag

Rezension „Zeit der Zauber“ Wolfram Eilenberger

Teile diesen Beitrag
Benutzerbild von Connie Ruoff

Connie Ruoff

Mein Name ist Connie Ruoff, ich bin 1960 geboren, habe Philosophie und Germanistik studiert. Damit mir zu Hause nicht langweilig wird, studiere ich"Bloggen professionell gemacht" in der Fernakademie. Ich lese alles, was ich finden kann.

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Nach oben scrollen