Briefwechsel Hannah Arendt und Dolf Sternberger
Buchrezension „Ich bin Dir halt ein bißchen zu revolutionär“

„Ich bin Dir halt ein bißchen zu revolutionär“  ist der dokumentierte Briefwechsel zwischen Hannah Arendt und Dolf Sternberger, der in Buchform von Udo Bermbach herausgegeben wurde.

Das Buch ist in folgende Teile gegliedert. 

Hannah Arendt und Dolf Sternberger: Eine Freundschaft
Briefwechsel 1946 – 1975
„Organisierte Schuld“ von Hannah Arendt
„Konzentrationsläger“ von Hannah Arendt
„Rede an die Freunde“ von Dolf Sternberger
Anhang (Personenregister, Lebenslauf Hannah Arendt und Dolf Sternberger, Bildnachweis)

Bevor ich näher auf den Inhalt eingehe, möchte ich die Lebensläufe von Hannah Arendt, Dolf Sternberger und Udo Bermbach ein wenig näher betrachten und die Gemeinsamkeiten herausfiltern. Im Anschluß werde ich zwei oder drei wichtige Punkte des Briefwechsels versuchen, herauszuarbeiten.


Hannah Arendt (1906-1975)

1924 lernte Hannah Arendt in Marburg Martin Heidegger kennen. Sie hatte ein Verhältnis mit dem 16 Jahre älteren Familienvater. 1926 wechselte sich nach Freiburg zu Edmund Husserl und dann nach Heidelberg zu Karl Jaspers. Bei ihm promovierte sie über den „Liebesbegriff bei Augustin“. Auch Hans Jonas arbeitete dort über Augustinus.

Hannah Arendt heiratete Günther Stern bzw. Anders (Die Antiquiertheit des Menschen). Das Ehepaar flüchtete 33 nach Berlin. Dort wurde Hannah Arendt durch die Gestapo festgenommen und acht Tage inhaftiert. Heidegger trat im gleichen Jahr der NSDAP bei. Hannah Arendt erlebte somit selbst die „Entfremdung von Feinden“. Sie emigrierte ohne Papiere nach Paris. 1937 ließ sich das Ehepaar Arendt/Stern scheiden.

Im gleichen Jahr wurde ihr die deutsche Staatsangehörigkeit aberkannt. In Paris war sie Teil der Gruppe (Walter Benjamin, Erich Cohn-Bendit, Kurt Heidenreich und weitere) um Heinrich Blücher, ihren früheren Kommilitonen, den sie 1940 heiratete. Heinrich Blücher war ein kommunistischer Aktivist und Anhänger Rosa Luxemburgs und Mitglied des Spartakusbundes.

Aber auch in diesem Jahr wurde das Ehepaar zusammen mit anderen interniert. Sie galten als feindliche Ausländer. „Freunde internieren dich, Feinde schicken dich ins Konzentrationslager“.

Sie konnten über Marseille nach Spanien flüchten und reisten über Lissabon aus. Walter Benjamin tötete sich selbst. In New York fand das Ehepaar eine Heimat. Hannah Arendt betrachtete sich selbst als „Amerikanerin“.

Ende der 40er Jahre war Hannah Arendt politisch aktiv und versuchte erfolglos für ein binationales Palästina zu wirken.

1950 erhielt sie die amerikanische Staatsbürgerschaft. Sie hielt Vorlesungen in Princeton, Berkley und wirkte 1963-1967 als Professorin an der University of Chicago.

Eine wichtige Rolle fand sie als als Reporterin der Zeitschrift „The New Yorker“ in Israel beim Eichmann Prozess. Daraus gingen Reportagen und auch eines ihrer bekanntesten und bis heute umstrittenste Werk „Die Banalität des Bösen“ hervor Sie polarisierte. Dies und ihre Darstellung der Rolle der Judenräte eckte vor allem in Israel außerordentlich an. Langjährige Freunde wie Blumenfeld wandten sich von ihr ab. 

Ich empfehle hierzu den Film „Hannah Arendt“ von Margaretha Trotta mit Barbara Sukova.

Der interessierte Leser entdeckt in diesem Film auch Charlotte Beradt und lernt ein wenig vom „Mythos Hannah Arendt“ kennen.


Dolf Sternberger (1907-1989)

Dolf Sternberger wurde als Adolf Sternberger geboren, legte das A aber schon vor der Machtergreifen der Nazis ab. 

Er lernte Hannah Arendt kennen, als er 1927 von der Universität Kiel, über Frankfurt zu Karl Jaspers nach Heidelberg wechselte. Im gleichen Jahr begann seine freie Mitarbeit bei der Frankfurter Zeitung.

1929 studierte er für ein Jahr bei Martin Heidegger, über dessen Philosophie er dann auch 1932 in Frankfurt bei Paul Tillich mit der Dissertation „Der verstandene Tod. Eine Untersuchung zu Martin Heideggers Existentialontologie“ promovierte.

Als Dolf Sternberge 1931 Ilse Rothschild heiratete, ist Hannah Arendt die einzige Trauzeugin.

1943 wurde die Frankfurter Zeitung verboten und Dolf Sternberger, als Redakteur der Zeitung, bekam Schreibverbot. Dolf Sternberger rettet seine jüdische Frau, mithilfe Alexander Mitscherlichs.

1945 gründet er zusammen mit Karl Jaspers, Alfred Weber und Werner Krauss die Zeitschrift „Die Wandlung“.

Ab 1947 lehrte er Politik an der Universität Heidelberg, ab 1955 als Honorarprofessor und ab 1962 als ordentlicher Professor.

Dolf Sternberger bekam zweimal die Ehrendoktorwürde verliehen und hat mehrere Preise erhalten. Der Höhepunkt war sicherlich 1989 die Verleihung des Großen Bundesverdienstkreuzes.

1993, vier Jahre nach seinem Tod, wurde die Dolf-Sternberger-Gesellschaft gegründet, die den Dolf-Sternberger-Preis für Verdienste um den Zusammenhang von Politik und Sprache verleiht. Preisträger waren unter anderem Willy Brandt, Martin Walser, Helmut Schmidt, Václav Havel, Friedrich Merz und Cem Özdemir.

Dolf Sternberger war ein Mitbegründer der deutschen Politikwissenschaft. Der Begriff „Verfassungspatriotismus“ geht auf ihn zurück.

Die „Die Wandlung“

Die Wandlung

In „Die Wandlung“publizierten Berthold Brecht, Thomas Mann, Martin Buber, Carl Zuckmayer, T. S. Elliot, N. H. Anden, Jean Paul Sartre, Albert Camus und viele weitere.

Ausgaben der Wandlung sind in Antiquariaten noch zu bekommen (siehe Foto).


Udo Bermbach (geb. 1938)

Udo Bermbach war Assistent bei Dolf Sternberger. Von 1971 bis 2001  war er Professor für Politische Theorie an der Universität Hamburg. 

2000 übernahm Udo Bermbach, dessen Interesse den politischen und gesellschaftlichen Aspekten der Oper gilt, die Konzept- Dramaturgie für Wagners „Der Ring der Nibelungen“ in der Inszenierung von Jürgen Flimm.

Seit 2005 ist er Mitherausgeber der halbjährlichen Zeitschrift „wagnerspectrum“.


„Ich bin Dir halt ein bißchen zu revolutionär“:
Was verbindet Hannah Arendt mit Dolf Sternberger?

Dolf Starnberger schrieb am 31.05.1946 den ersten Brief an Hannah Arendt. 

1948 trafen sich die beiden zum ersten Mal nach dem Krieg in New York. 

1949-1950 reiste Hannah Arendt das erste Mal wieder nach Europa. In Deutschland besuchte sie Karl Jaspers, Martin Heidegger und Dolf Sternberger.

1958 hielt Hannah Arendt die Laudatio auf Karl Jaspers bei Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels. Sie trifft sich mit Dolf Sternberger in München.

1961 besucht Hannah Arendt das Wissenschaftliche Institut in Heidelberg.

1964 hatte Dolf Sternberger eine Gastprofessur an der Chicagoer Universität. Während dieser Zeit treffen sich die Beiden öfter.

1971 trifft sich das Ehepaar Sternberger mit Hannah Arendt in New York.

1975 reist Hannah Arendt das letzte Mal nach Europa, dabei trifft sie Martin Heidegger und Dolf Sternberger.

In beider Werke spielen Aristoteles, Heinrich Heine, Niccolo Machiavelli und Augustinus eine große Rolle.

Keineswegs einig waren sich die beiden Briefeschreibenden in der Beurteilung Martin Heideggers und seiner Philosophie.

„Hier wieder wirfst du Heidegger und seiner oft verzweifelten Eigenwilligkeit (verzweifelt, wegen der ungeheuren sachlichen Schwierigkeiten mit den begrifflichen Mitteln der Tradition gegen die Tradition zu schreiben; oder – und diese Schwierigkeit ist fast noch größer – mit neuen Begriffen so nahe an die Tradition heranzukommen, dass sie noch verstanden werden kann) jene Übertreibungen vor, die wir am klarsten und bösesten in Nietzsche haben. Der auch deswegen nicht ein kleinerer Philosoph wird, weil er uns fraglos auf die Nerven geht.“

Ich bin dir halt ein bißchen zu revolutionär.. S. 153.

Sicherlich mag das auch daran liegen, dass Dolf Sternberger nicht darüber hinwegsehen mochte, dass sich Heidegger zum Nationalsozialismus bekannt hatte und Dolf Sternberger seine jüdische Frau nur mit großer Mühe, Glück und der Hilfe Alexander Mitscherlichs vor der Deportation retten konnte.

Hannah Arendt hatte die Größe die Person Heidegger und seine Philosophie getrennt betrachten und bewerten zu können. 

Hier sei mir zu erwähnen erlaubt, dass ich (Verfasserin) nie diese Größe aufbringen könnte.

Aus den Briefen ist auch zu entnehmen, dass das Ehepaar Sternberger einige Pakete mit begehrten Waren nicht nur für sich selbst, sondern auch für Freunde bekam.

Bestimmt war es zwischen Hannah Arendt und Dolf Sternberger Freundschaft, aber es war doch ein wenig eine ungleiche Beziehung. Beim Lesen der Briefe fällt auf, dass Dolf Sternberger, der Forderndere war. Er wollte, dass Hannah Arendt mehr Artikel für „Die Wandlung“ schriebe und eine redaktionelle Rolle bei „Der Wandlung“ einnähme. Hannah Arendt lehnt das mit folgenden Worten ab: 

„…es sei ihr nicht möglich, einfach und selbstverständlich ‚zurückzukommen‘ – und Mitarbeit an einer deutschen Zeitschrift sei doch eine Form des Zurückkommens -, ohne ‚als Jude‘ willkommen zu sein.“

Ebenda. S. 391.

Auch ein Brief des Herausgebers Udo Bermbach an Hannah Arendt vom November 1966, mit der Bitte um einen um einen Beitrag für die Festschrift zu Dolf Starnbergers 60. Geburtstag, erfüllte Hannah Arendt nicht:

„es tut mir sehr leid, aber ich habe einfach nichts für die Festschrift. Die Sache ist die, dass ich sehr wenig schreibe und das wenige, was ich schreibe, englisch geschrieben ist. Mein Arbeitsprogramm für das nächste Jahr macht es mir völlig unmöglich, irgendetwas zu übernehmen, was nicht bereits völlig festliegt. Dezember 1966.

Ebenda. S. 282.

„Ich bin Dir halt ein bißchen zu revolutionär“: Essays von Hannah Arendt und der Rede von Dolf Sternberger

Von Hannah Arendt wurden insgesamt sechs Essays in „Die Wandlung“ veröffentlicht, die 1948 vom Springer Verlag unter dem Titel „Sechs Essays“ veröffentlicht.

Im besprochenen Buch werden zwei der Essays und eine Rede Dolf Sternbergers abgedruckt.

„Organisierte Schuld“ von Hannah Arendt

Hannah Arendt schrieb diesen Text 1944 und widmete ihn Karl Jaspers. Der Text wurde auch in der ersten Ausgabe „Die Wandlung“ veröffentlicht. Die „Schuldfrage“ wurde auch von Karl Jaspers und den 68ern aufgegriffen. Wer trägt die Schuld am Völkermord, am Genozid des Dritten Reichs?

„Konzentrationsläger“ von Hannah Arendt

Konzentrationsläger sind der Kern eines totalitären Systems. In diesen Lagern ist ein rechtsfreier Raum. Die Opfer werden entmenschlicht, sie werden als minderwertig eingestuft, ihnen werden sämtliche Rechte genommen. Die Opfer sind vogelfrei. Ihre Vernichtung erscheint rechtens. (Frei nach Hannah Arendt).

„Rede an die Freunde“ von Dolf Sternberger

Diese Rede wurde Juli 1957 von Dolf Sternberger gehalten. Ein Loblied auf die Freundschaft mit einem Zusatz, dass diese Rede auch an Hannah Arendt gerichtet sei, auch wenn sie bei diesem Ereignis fehle.


Schlussgedanken „Ich bin Dir halt ein bißchen zu revolutionär“

Die Herausgabe dieses Briefwechsels zwischen Hannah Arendt ist wirklich   eine Ergänzung des bisherigen Materials über die großartige Philosophin und ihre freundschaftlichen Beziehungen. Man findet weder in Ihrem „Denktagebuch“, noch im „Arendt Handbuch“ von Wolfgang Heuer/Bernd Heiter/Stefanie Rosenmüller  oder in „Hannah Arendt“ von Elisabeth Young-Bruehl tatsächlich viel Informationen zu Dolf Sternberger.

Meist wird er als „Hannah Arendts Freund aus Frankfurt“ benannt und im Zusammenhang mit Karl Jaspers und der Gründung der Zeitschrift „Die Wandlung“ erwähnt.

Für jeden, der an der Nachkriegszeit, Hannah Arendt, Dolf Sternberger oder an Philosophie überhaupt interessiert ist, ist dieser Briefwechsel lesenswert. Vor allem lässt sich aus diesen Briefen herauslesen, welche große Bedeutung Hannah Arendt schon damals hatte.

Bemerkenswert ist sicherlich auch, dass man in den Briefen vergeblich nach einem „Gespräch“ über die Zeit im dritten Reich sucht. Wahrscheinlich wollte beide dieser Zeit nicht noch mehr Raum zugestehen.

Udo Bermbach ist es gelungen, diesen Briefwechsel in Buchform mit ausführlichem Zusatzmaterial, wie den Essays, den Lebensläufen und einer lesenswerten Einleitung herauszugeben. Das Schönste sind die zahlreichen Bilder! Es handelt sich um ein bereicherndes Dokument der Zeitzeugen!

Vielen Dank!


Mein herzliches Dankeschön geht an den Rowohlt Verlag für die Bereitstellung dieses wertvollen Rezensionsexemplars. Es bekommt einen Platz in meiner Hannah Arendt Ecke.

Literaturverzeichnis „Ich bin Dir halt ein bißchen zu revolutionär“: :

 Hannah Arendt, Dolf Sternberger: Ich bin dir halt ein bißchen zu revolutionär. Berlin 2019

Arendt, Hannah: Denktagebuch. 2016.


Heuer/Heiter/Rosenmüller: Arendt Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Stuttgart 2016.


Apple Books.

Arendt, Hannah: Menschen in finsteren Zeiten.
Link zur Rezension
Arendt, Hannah: Wie ich einmal ohne dich leben soll, mag ich mir nicht vorstellen .
Link zur Rezension

Young-Brühl, Elisabeth: Hannah Arendt. „Leben, Werk und Zeit. Erweiterte Ausgabe mit neuem Vorwort“ Apple Books. 



ich bin dir halt ein bißchen zu revolutionär 1

Ich bin Dir halt ein bißchen zu revolutionär“:

Hannah Arendt , Dolf Sternberger

Fester Einband: 480 Seiten

Erschienen bei Rowohlt Berlin, 17.09.2019

ISBN 9783737100632

Genre: Sachbücher

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Benutzerbild von Connie Ruoff

Connie Ruoff

Mein Name ist Connie Ruoff, ich bin 1960 geboren, habe Philosophie und Germanistik studiert. Damit mir zu Hause nicht langweilig wird, studiere ich"Bloggen professionell gemacht" in der Fernakademie. Ich lese alles, was ich finden kann.

1 Kommentar zu „„Ich bin Dir halt ein bißchen zu revolutionär“ (Rezension)“

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