Buchbesprechung „Schwarz und Silber“ von Paolo Giordano
„Schwarz und Silber“, ist der dritte Roman von Paolo Giordano und erzählt die Geschichte von Tom, Nora, Emanuele und Babette – einer Familie mit Haushälterin in Turin.
Die Handlung ist schnell erzählt. Babette, die gute Seele der Familie, heißt eigentlich Anna, oder Signora A. Den Namen Babette verdankt sie Karen Blixens Roman „Babettes Fest“. Nachdem sie acht Jahre den Haushalt geführt, das Kind betreut und das Familienleben in eine Struktur gebracht hat, erkrankt Babette an Krebs. Der Verlauf der Erkrankung ist zugleich die Rahmenhandlung, an der Paolo Giordano seine Beobachtung und Analyse der Situation erzählt.
„Auch ein junges Paar kann erkranken, an Unsicherheit, Wiederholung, Einsamkeit. Die Metastasen breiten sich unsichtbar aus, und unsere hatten bald das Bett erreicht. Elf Wochen lang, dieselben elf Wochen, in denen Signora A. eine nach der anderen die elementaren Funktionen ihres Organismus einbüßte, haben Nora und ich uns weder berührt noch gesucht.“
Wie gehen wir damit um, dass ein Mensch, der zum festen Bestandteil unseres Lebens gehört, krank wird und wir wissen, dass er sterben wird? Kann man Abschied voneinander nehmen? Was heißt Abschied nehmen?
Paolo Giordano ist promovierter Physiker und beschreibt Sachverhalte auch mal mit naturwissenschaftlichen Bildern. Hier greift er zudem auf die „Viersäftelehre“ von Galenos zurück, die besagt, dass der Mensch aus vier unterschiedlichen Körpersäften besteht. Blut, Schleim, gelbe Galle und schwarze Galle sind die vier Primärqualitäten, denen er die Attribute, Blut – süß, Schleim – salzig, gelbe Galle – bitter, schwarze Galle – sauer und scharf, beifügt.
In der Ehe des Ich-Erzählers, herrschen die Farben Schwarz für Melancholie und Silber für Fröhlichkeit vor. Können sich die Farben zu einer homogenen Masse vermischen oder werden die Flüssigkeiten getrennt bleiben? Reagieren die beiden Farben wie Cola und Fanta und verbinden sie sich zu Spezi? Oder sind sie wie kaltes Wasser und Öl und bleiben letztendlich getrennt?
Babette hatte einen festen Platz in der Familienstruktur. Was geschieht, wenn diese Komponente herausgenommen wird. Können die restlichen Komponenten das Fehlende aufwiegen, oder bröckelt die Struktur.
Letztendlich stellt sich die Frage: „Wer sind wir ohne Babette?“
Einfühlsam schildert Paolo Giordano, wie sich die Familie auf sich selbst besinnt, das eigene Ich zu erkennen versucht und eine Struktur zu finden. Babette war so etwas, wie ein ausgleichendes Moment, das nicht nur die Familie, sondern auch die Ehe mit Nora im Gleichgewicht hielt.
Warum gelingt es nicht immer, gemeinsam zu trauern? Warum muss man auch für sich alleine auf die eigene Weise trauern? Entsteht so Einsamkeit?
Das Erzähler-Ich reflektiert seine eigenen Erinnerungen. Wie würde sich sein Sohn Emanuele an Babette erinnern?
Würden es warme Erinnerungen sein? Er selbst besass diese nicht. Der Leser merkt ihm an, dass er das bedauert.
Sprachliche Gestaltung „Schwarz und Silber“
„Schwarz und Silber“ ist ein leises Buch. Es geht um Verlust. Es geht um Beziehungen. Es geht um Liebe. Es geht darum, wie sich Liebe findet oder sich verliert. Es geht um Vertrauen.
Das Buch ist aus der Perspektive des Ich-Erzählers, des Ehemanns, geschrieben. Es geschieht wenig, das Buch erzählt die Geschichte der Familie in Rückblenden. Es beginnt mit der Nachricht, dass Babette gestorben ist und endet mit einem Besuch an Babettes Grab.
Dennoch ist es kein depressives Buch, sondern es zeigt auch, welche Chance dieses Abschied nehmen mit sich bringt. Es zeigt, wie die Familie die Verbindungen löst und sich wieder neu verbindet. Es zeigt eher einen Umbruch an, das Ehepaar macht sich auf, die Lücke zu schließen, die Babette hinterlassen hatte. Es ist gleichzeitig eine Liebeserklärung und ein Dankeschön an Babette.
Das Hörbuch „Schwarz und Silber“ bei BookBeat
Das Hörbuch wird von Heiko Deutschmann einfühlsam gesprochen und hat eine Hördauer von 3 Stunden und 31 Minuten. Das ungekürzte Hörbuch ist im Bookbeat Katalog enthalten.
Fazit/Kritik oder Meine abschließenden Gedanken zu „Schwarz und Silber“
Paolo Giordano hat mit „Schwarz und Silber“ das Porträt einer Ehe und gleichzeitig eine Hommage an Babette geschrieben, die ein wenig an „Was vom Tage übrig bleibt“ erinnert.
Dadurch macht uns der Autor klar, dass wir alle in einer Konstellation zueinander stehen und wir uns neu ordnen müssen, wenn ein Mitspieler das Spielfeld verlässt oder ein neuer Mitspieler auftritt.
Auch unsere bisherige Rolle kann sich gewaltig verändern, weil auch die Aufgaben und Pflichten neu verteilt werden.
Ich finde das Buch sehr schön, weil es sozusagen versucht, die Beziehungen der Protagonisten von außen zu betrachten, und die Funktionsweise zu erahnen, und gleichzeitig aufzeigt, wie komplex eine Ehe oder ein Familienleben ist.
Der Autor nimmt den Leser sozusagen als Beichtvater mit, ohne dass der Leser sich gelangweilt fühlt. Es hat mehr einen tröstlichen Charakter und zeigt, wie wichtig die eigenen Erinnerungen sind.
Ich habe bislang „Die Einsamkeit der Primzahlen“ gelesen, aber nicht rezensiert und „Den Himmel stürmen“ gelesen und rezensiert. Bei beiden Büchern fiel mir auf, wie genau Paolo Giordano beobachtet und wie analytisch er dabei vorgeht und jegliche Konditionen zueinander entdeckt und untersucht. Ich lernte den charmanten Autoren auf der Frankfurter Buchmesse 2018 kennen. Auch diesmal hat er mich mit „Schwarz und Silber“ überzeugt.
Das Buch macht trotz der traurigen Begleitumstände Mut und ist voll Lebensfreude.
Links zum Buch
Der Schriftsteller bei Rowohlt
Rezension „Den Himmel stürmen“
Frau Hemingway
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