Paolo Giordanos Gedanken zur Pandemie

„Ich schreibe an einem der seltenen 29. Februare, einem Samstag in diesem Schaltjahr. Die Zahl der Ansteckungen hat weltweit 85 000 überschritten, 80 000 allein in China, die Zahl der Toten nähert sich 3000. Seit mindestens einem Monat begleitet diese merkwürdige Buchführung im Hintergrund meine Tage. Auch jetzt habe ich die interaktive Karte der Johns Hopkins University offen vor mir.“

In Zeiten der Ansteckung, S. 10. 2020.

Der in Rom lebende italienische Schriftsteller Paolo Giordano ist vielen bekannt durch seine Bestseller „Die Einsamkeit der Primzahlen“, „Den Himmel stürmen“, „Schwarz und Silber“ oder „Der menschliche Körper“. Diesmal meldet er sich nicht mit einem neuen Roman zu Wort, sondern mit Gedanken zur Pandemie.

Paolo Giordanos Notizen vom 29. Februar dieses Jahres, beschreiben den Ausbruch der Epidemie. Der Ausbruch des Sars-Cov-2 Virus. Der Beginn der Covid 19 Erkrankung. Paolo Giordanos Zahlen muten aus heutiger Sicht fast schon harmlos an – aber so schnell kann das Virus 13 Millionen Menschen infizieren und über 500 000 Menschen töten.

Heute am 15. Juli 2020, Stand 10.00 Uhr, haben die Zahlen der John Hopkins University eine andere Dimension.
13.323.530 Infizierte weltweit.
578.628 Tote weltweit.
USA, Brasilien, Großbritannien, Mexiko, Italien sind, die am stärksten betroffenen Länder.

In Deutschland hatten wir zu dem erwähnten Zeitpunkt, 200.456 Infizierte und 9.078 Tote.

Ja! Es sind schreckliche Zahlen. Dennoch sind wir kaum besser gegen das Virus gewappnet, als vor einem halben Jahr. Und das mit der Immunität ist auch noch nicht wirklich geklärt.

Paolo Giordano hilft es, die Pandemie zu untersuchen und mathematisch zu beleuchten. Auch ich persönlich fühle mich wohler, wenn ich über die Dinge, die mich ängstigen, so viel Informationen, wie möglich sammle. Und der Sars-Cov-2-Virus gehört eindeutig zu den Dingen, die mich ängstigen, dazu.

Der promovierte Physiker und Autor Paolo Giordano erklärt die Erkrankung und deutet die Zahlen dahinter, bzw. erläutert deren Bedeutung.

  1. Ein Virus gehört zu den elementarsten Lebewesen und unterteilt uns Menschen in drei Gruppen.
    – Nicht immune Gesunde – Susceptible Individuals
    – Reversibel und ansteckende Infizierte – Infected Individuals
    – Durch Tod oder Genesung aus dem Krankheitsgeschehen Entfernte – Removed Individuals.
    Kurzgesagt S I R
    7,5 Mrd. Menschen stehen zur Verfügung.
  2. Die Ausbreitung des Sars-Cov-Virus kann man auch als Indikator für unsere globale Welt ansehen.
  3. Die Basis-Reproduktionszahl von Covid 19 beträgt 2,5. Um die Krankheit einzudämmen muss die Reproduktionszahl unter 1,0 liegen, nur so kann es zu einer Verlangsamung kommen.

Mögliche Konsequenzen „In Zeiten der Ansteckung“

„Ich habe keine Angst davor, zu erkranken. Wovor dann? Vor all dem, was die Ansteckung ändern kann. Davor, zu entdecken, dass das Gerüst der Zivilisation, so wie ich sie kenne, ein Kartenhaus ist.“
Paolo Giordano

Die Welt hat sich schon jetzt durch die Pandemie verändert und sie wird sich noch weiter verändern. Oder mit anderen Worten: Was sind die Chancen und welche Risiken bringt uns die Zukunft.

Das Hörbuch „In Zeiten der Ansteckung“

Das Hörbuch wird ungekürzt von Johannes Steck gelesen, den viele Leser*innen und Hörer*innen aus der ARD-Serie In aller Freundschaft kennen. Er spielte von 2001 bis Ende 2005 die Hauptrolle des Dr. Kreutzer. Er ist auch für seine Einlesungen zu sämtlichen Werken von Simon Beckett und Edgar Wallace bekannt. Auch die Black Dagger Reihe und viele Hörbücher von Markus Heitz hat er gelesen.

Ich mag seine Stimme. Der Sprecher ist sehr vielseitig und kann sich mit Empathie in unterschiedliche Charaktere einfühlen. Das Kopfkino funktioniert hervorragend.

Das Hörbuch ist am 17.04.2020 bei Lübbe Audio erschienen und hat eine Länge von 1 Std. 3 Min.

Paolo Giordano - Frankfurter Buchmesse - beigefügt zu "In Zeiten der Ansteckung
Paolo Giordano – 2018 auf der Frankfurter Buchmesse am Rowohlt Stand

Kritik zu „In Zeiten der Ansteckung“

In der Philosophie benennt Karl Jaspers eine Zeit wie die unsere im ersten Halbjahr 2020, als Grenzsituation. Wir begegnen Tod, Krankheit und Isolation. Viele gute menschliche Eigenschaften kamen zutage, wenn man genau hinschaut. Fremde Menschen helfen einander. Menschen musizieren miteinander. Wir machen uns „Sorgen“. Wir tragen Sorge für uns, unsere Angehörigen. Trotzdem erwischt uns das Virus immer wieder. Sei es im Verwandten-, Bekannten- oder Freundeskreis. Und wir können uns kaum dagegen wehren. Es sei denn, wir verbarrikadieren uns zuhause und vermeiden jeglichen Kontakt mit anderen Menschen. Aber, wer will das schon?

„Aber es gibt Situationen, die in ihrem Wesen bleiben, auch wenn ihre augenblickliche Erscheinung anders wird und ihre überwältigende Macht sich in Schleier hüllt: ich muß sterben, ich muß leiden, ich muß kämpfen, ich bin dem Zufall unterworfen, ich verstricke mich unausweichlich in Schuld. Diese Grundsituationen unseres Daseins nennen wir Grenzsituationen. Das heißt, es sind Situationen, über die wir nicht hinaus können, die wir nicht ändern können. Das Bewußtwerden dieser Grenzsituationen ist nach dem Staunen und dem Zweifel der tiefere Ursprung der Philosophie.“

(Karl Jaspers, Einführung in die Philosophie. Zwölf Radiovorträge, Zürich 1950, 20f.)

Leider legt die Grenzsituation, die Sars-Cov-2 inszeniert, auch weniger gute Eigenschaften von uns frei.

Wenn wir in häuslicher Quarantäne sind, ergibt die Realität, dass unsere Kinder vermehrt mit Gewalt konfrontiert werden. Trifft das nur auf „Problemgruppen“ zu? Wer sind diese Problemgruppen? Sind wir nicht mehr in der Lage unseren Kindern ein gewaltfreies Zuhause zu bieten? Sind wir Menschen schon so verroht? Durch die Schulpflicht erhalten Kinder in Deutschland nicht nur Bildung, sondern auch einen gewissen Schutz der Gemeinschaft durch Kita, Schule und Erzieher. Während einer Quarantäne fällt das aus.

Viele Langzeitwirkungen werden wir erst in einigen Jahren erkennen und deuten können. Wie entwickeln sich Kinder, die anderen gegenüber körperlich Abstand wahren sollen?

Manche von uns nehmen die Gefahr nicht ernst und gefährden viele Mitmenschen. Sei es, weil wir Corona Parties feiern, oder wir keine Masken tragen und mit vielen Menschen zusammenkommen.

Meine Rezension zu „In Zeiten der Ansteckung“ schreibe ich nun fünf Monate später, als Paolo Giordano, den zugrunde liegenden Text schrieb. Mir hat das Buch geholfen, gewisse Zusammenhänge und Definitionen der Erkrankung, besser zu verstehen. Ich schaue mit einer wissenschaftlich interessierten Neugier und einem ängstlichen Auge in die Zukunft. Ich gehöre zur Risikogruppe.

Vor allem aber habe ich genauso wie Paolo Giordano Angst, dass die Welt, wie wir sie kennen, wie ein Kartenhaus zusammenbricht.

Wie lange werden wir das Hase-und-Igel-Spiel spielen müssen? Da es letztendlich nicht geklärt ist, ob eine Immunität eintritt oder nicht, können wir auf das schöne Bild der Herdenimmunität verzichten. Das heißt, wir lockern die Auflagen, bis unser Gesundheitssystem in der Nähe der Grenze der Belastbarkeit kommen. Dann gibt es wieder strengere Auflagen. Das wird in Form eines Kreislaufs solange erfolgen, bis wir Immunität durch einen Impfstoff erhalten.

Leider wird die Büchse der Pandora, in unserem Fall, ist es die Gefahr von gefährlicher Viren infiziert zu werden, nicht mehr geschlossen und die Gefahr kann nicht eliminiert werden. Ich bin gespannt, was die nächsten Jahre bringen.

Ich danke Paolo Giordano für den Denkanstoß und die wissenschaftlichen, aber leicht verständlichen, Ausführungen. Ausserdem möchte ich noch erwähnen, dass man in „In Zeiten der Ansteckung“ viel von dem Menschen Paolo Giordano erfährt.

„In Zeiten der Ansteckung“ lohnt sich auf jeden Fall zu lesen.

Passt gut auf euch auf! Und bleibt gesund!

Connie Ruoff


Bibliografie „In Zeiten der Ansteckung“

Paolo Giordano - In Zeiten der Ansteckung
Verlag:  rororo
Erscheinungstermin:  21.04.2020
80 Seiten
ISBN:  978-3-499-00564-0
übersetzt von: Barbara Kleiner

Weitere Links und Rezensionen zu „In Zeiten der Ansteckung“

Der Autor bei Rowohlt

Der Autor auf YouTube

Rezension „Den Himmel stürmen“

Rezension „Schwarz und Silber“

Perlentaucher – Das Kulturmagazin

Spektrum.de

Johannes Heß auf Literaturkritik.de

Ausführliches Interview zu „in Zeiten der Ansteckung“ mit Paolo Giordano auf Spiegel.de

ttt Titel, Thesen, Temperamente

Teile diesen Beitrag
Benutzerbild von Connie Ruoff

Connie Ruoff

Mein Name ist Connie Ruoff, ich bin 1960 geboren, habe Philosophie und Germanistik studiert. Damit mir zu Hause nicht langweilig wird, studiere ich"Bloggen professionell gemacht" in der Fernakademie. Ich lese alles, was ich finden kann.

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Nach oben scrollen
%d Bloggern gefällt das: