Siri Hustvedts Essays zur Kunst und Erkenntnistheorie
Zusammenfassung/Inhalt „Eine Frau schaut auf Männer, die auf Frauen schauen“
Ich habe Siri Hustvedts Essayband „Eine Frau schaut auf Männer, die auf Frauen schauen“, zeitgleich mit ihrem aktuellen Roman „Damals“ gelesen. Beide Bücher gehören zusammen, weil beide Bücher dieselben Themen behandeln:
Das Ich in der Zeit, das sich mithilfe von Erinnerungen, kontinuierlich neu zusammensetzt und verändert. Was hat Kunst mit Erinnerung zu tun? Wie entsteht beim Betrachter Kunst? Woher kommen die Ideen? Wie kommt es von der Idee zur Kunst.
Im Roman „Damals“ wird der Weg zum „Ich“ beschrieben. Der Vorgang des „Erinnerns“ wird beispielhaft belegt.
Die Essays zeigen anhand von Künstlern, ihren Werken und deren Wirkung auf den Betrachter, dass kreative Vorgänge sehr komplex sind und Kunstgegenstände nicht einfach als Objekt gesehen werden können, sondern selbst etwas „Subjektives“ haben.
Essays über Kunst, Geschlecht und Geist
Die amerikanische Originalausgabe „A Woman Looking at Man Looking at Woman“ beeinhaltet als ersten Teil die deutsche Ausgabe „Eine Frau schaut auf Männer, die auf Frauen schauen“, sowie als zweiten Teil „Die Illusion der Gewissheit“, der in Deutschland 2018 als selbständiges Buch von Rowohlt verlegt wurde.
„Die Illusion der Gewissheit“, beschäftigt sich mit dem Leib-Seele- bzw. Körper-Geist-Problem. Wo finden wir Erinnerung? An welcher Stelle finden wir die Seele? Wo ist die Heimat des Ichs?
Der vorliegende Essayband ist in Deutschland in zwei Teile geteilt. Der erste Teil hat den Titel des Buches,
„Eine Frau schaut auf Männer, die auf Frauen schauen“,
der zweite Teil
„Die Illusion der Gewißheit“
Zu den einzelnen Essays „Eine Frau schaut auf Männer, die auf Frauen schauen“
Es sprengt den Rahmen einer Buchbesprechung hier auf alle Essays einzugehen, deswegen habe ich mir drei Essays rausgepickt, „Meine Louise Bourgeois“, „Mapplethorpe/Almodovar“, „Warum diese Geschichte und nicht eine andere“, die mich am meisten gefordert haben.
„Meine Louise Bourgeois“ aus „Eine Frau schaut auf Männer, die auf Frauen schauen“
Zu dem beschriebenen Essay „Meine Louise Bourgeois“ habe ich auf YouTube den Film gefunden: Exhibition film on „Louise Bourgeois. Structures of Existence: The Cells“. Haus der Kunst, 27.02 — 02.08.15
Siri Hustvedt zeigt uns neben der Künstlerin Louise Bourgeois auch das Bild, das sie über die Künstlerin selbst in Gedanken, oder als aktiven Akt der Kunstbetrachtung erstellt hat. Die Theorie über die Wirkung von Kunst auf den Betrachter setzt die Autorin um.
Aus der Theorie ist die Praxis der Kunstbetrachtung von Siri Hustvedt, am Beispiel Louise Bourgeois, geworden. Das ist sehr beeindruckend und es hat die Theorie verifiziert.
Über das Werk der Künstlerin sagt Siri Hustvedt:
Wenn ihre zwingend zitierbaren Analysen ihres Werkes zusammengefasst werden, ergeben sie keine Synthese, sondern eine Antithese. Es sind die Ejakulationen eines schnellen Geistes, der sich vor allem für seine eigenen Inhalte interessierte.
„Mapplethorpe / Almodovar“ aus „Eine Frau schaut auf Männer, die auf Frauen schauen“
Die Ausführungen von Siri Hustvedt zu Robert Mapplethorpe und Pedro Almodovar sind sehr interessant und haben mich zum Recherchieren veranlasst. Bislang waren mir beide Künstler zwar oberflächlich bekannt, aber jetzt habe ich Lust auf mehr. Apollo meets Dionysos – oder die cleane Form des Apollinischen gegen die Leidenschaft des Dionysischen. Es lassen sich einige gemeinsame Begegnungspunkte herausarbeiten:
Mapplethorpe liebte das „Perfekte“. In der von Almodovar organisierten Ausstellung hängt auch das Bild von Patti Smith. Das Bild wird als Solo Ereignis präsentiert. Dieses Bild hat nichts von Perfektion, sondern es zeigt in seiner Zärtlichkeit vielmehr die Verletzbarkeit – das Menschliche. Siri Hustvedt kam es so vor, als sei das Bild zur Kommunikation bereit. Patti Smith wird nicht objektiviert.
„Ihre Subjektivität, ihre Persönlichkeit sind Teil des Bildes.“
Siri Hustvedt
Patti Smith und Robert Mapplethorpe hatten eine einzigartige Beziehung: Sie waren Freunde, Liebhaber, künstlerische Mitarbeiter und Seelenverwandte.
Siri Hustvedt sieht in Mapplethorpe einen Künstler, der mit klassischer formaler Ästhetik, die Bedrohung und Gewalt der sexuellen Bilder abschwächt. Vor allem sexuelle Phantasien über Kontrolle und Unterwerfung, machen den Fotografen und den Betrachter zu Beteiligten. Maplethorpe arrangierte Menschen, als leblose Objekte – sozusagen als Stillleben.
Im Gegensatz dazu Pedro Almodovar: Er ist ein Geschichtenerzähler. Während Maplethorpe die Formen wahrt, und begrenzt, reißt Almodovar die Grenzen ein.
Almodovar zeigt in seiner Kunst Maßlosigkeit, während Mapplethorpe minimalistisch arbeitet.
„Wie Mapplethorpe schafft Almodovar starke visuelle Grenzen in seinen Filmen, Licht- und Farbkontraste, die ein leuchtendes, schönes Kinobild ergeben. Das verbindet ihn mit dem Fotografen und dem Apollinischen.“
Warum diese Geschichte und nicht eine andere? Oder Woher nehmen Sie Ihre Ideen?
aus „Eine Frau schaut auf Männer, die auf Frauen schauen“
Spielt die Biografie des Autors eine Rolle? Sind es Variationen eigener Erinnerungsstücke? Die Verknüpfung von Erinnerung und Kreativität geht auf die griechische Philosophie zurück. Ich komme hier auf den Punkt Erinnerung zurück, den ich schon bei der Rezension „Damals“ von Siri Hustvedt ausführte.
Im Gegensatz zu der mittelalterlichen Vorstellung, unsere Erinnerungen werden in einem Apothekerschrank verwahrt und wir müssen sie nur einfach aus der Schublade holen, ist das Erinnern ein komplexer Vorgang, dessen Ergebnis variabel ist.
Rezension von „Damals“
Unsere Erinnerung wird mittels unserer Erfahrungen neu zusammengesetzt und damit auch bewertet. Dadurch ist Erinnerung nicht statisch, sondern dynamisch.
Wenn unsere Erinnerungen dynamisch sind, was ist dann wahr? Wie wahr sind unsere Erinnerungen. Die Erinnerung von gestern ist nicht identisch mit der Erinnerung von heute.
Es ist eine spannende Sicht auf das, was beim Schreiben im Akt des Schöpfens geschieht. Jeder der schreibt, kennt das Gefühl, dass ihm die Geschichten aus den Fingern gleiten, dass die Protagonisten ein Eigenleben annehmen.
Siri Hustvedt unterscheidet zwischen dem, was sich in einer Geschichte ereignet (Fabula), und dem, wie es erzählt wird (Sujet). Fabula steckt im Autor, er weiß vielleicht noch nichts Genaues, aber er ahnt ihr Vorhandensein und muss sie nur greifen. Beim Sujet handelt es sich um bewusste Entscheidungen. Beispiele hiefür sind: In welches Genre die Geschichte eingeordnet wird, die Erzählperspektive, sprachliche Gestaltung und das spätere Layout.
Das erinnert mich sehr an Platons Ideenlehre. Wir haben die Ideen in uns (a Apriori vor jeder Erfahrung), müssen sie erkennen und darauf zugreifen.
Deswegen wissen wir intuitiv, dass die Geschichte so nicht stimmt und ändern sie, im Glauben, dass sich die Handlung verselbständigt hat, oder die Protagonisten machen, was sie wollen. Und das wissen wir, obwohl wir im Schreibprozess zeitweilig die Welt einer anderen Person betreten. Nur dann wirkt es authentisch.
5/5 Punkten
Sprachliche Gestaltung
5/5 Punkten
Cover und äußere Erscheinung
Das Cover ist minimalistisch gehalten und vermittelt durch die Linien, die Betrachtung der unterschiedlichen Perspektiven. Weniger ist manchmal mehr! Gefällt mir gut!
Zu meiner großen Freude hat das Buch nicht nur ein Lesebändchen, sondern auch ein Literaturverzeichnis. Der Leser hat die Möglichkeit auf den Spuren Siri Hustvedts zu wandeln.
5/5 Punkten
Meine Playlist zum Buch
Gibt es ein Hörbuch?
Leider gibt es bislang kein Hörbuch.
Fazit oder „meine Siri Hustvedt“
aus „Eine Frau schaut auf Männer, die auf Frauen schauen“
Worum geht es?
Um Erkenntnistheorie, Kognitionswissenschaft, die Kunst, den „Menschen an sich“ oder, wie wird aus einer Idee ein Kunstwerk? Siri Hustvedt möchte dem „Ich“ nachspüren und es erahnen. Kunst kann nur in der Begegnung eines Kunstwerkes und des Betrachters entstehen. Und das „Ich“ des Betrachters ist mit seinen Erinnerungen und Erlebnissen verwoben.
Ich möchte die Rezension mit Siri Hustvedts Gedanken beenden:
Ich habe diese Interpretation zu „Eine Frau schaut auf Männer, die auf Frauen schauen“ im Hinblick auf Meine Siri Hustvedt geschrieben. Deswegen erlaube ich mir Siri Hustvedt
….als meine in Anspruch zu nehmen. Sie ist natürlich auch deine Siri Hustvedt. Aber darum geht es mir nicht. Meine S. H. und deine mögen Verwandte sein, aber es ist unwahrscheinlich, dass sie eineiige Zwillinge sind“
Connie Ruoff frei nach Siri Hustvedt
@Rowohlt: Vielen Dank für das schöne Rezensionsexemplar!
Ich vergebe insgesamt 5/5 Punkten.
Weiterführende Links
Siri Hustvedt die Website der Autorin
Rowohlt „Manchmal ist Erinnerung ein Messer“
Siri Hustvedts Bücher bei Rowohlt
LESUNG VON SIRI HUSTVEDT: Damals in New York
VON MICHAEL HIERHOLZER in der FAZ
Rezension „Die Illusion der Gewissheit“ von Siri Hustvedt
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