„Alles in diesem Buch ist wahr – selbst das Erfundene“

„Wer auch immer du im Leben warst, Maxim Gorki oder ein zum Tode verurteilter Häftling, ein Verhütungsunfall oder Katayamy, der Anführer der Kommunistischen Partei in Japan – zwölf Rubel kostet die Gebühr plus achtzig Kilogramm Kohle …“

Zusammenfassung/Inhalt „Kremulator“

Sasha Filipenko beschreibt in seinem neuesten Roman „Kremulator“ die Zeit des Stalinismus, die Zeit der Schauprozesse, der großen Säuberungswellen. Das Buch besteht aus drei Teilen.

Weiterlesen: „Kremulator“ Sasha Filipenko (Rezension)

Teil eins: Voruntersuchung

Teil zwei: Das Urteil

Teil drei: Leer. Leben

Pjotr Iljitsch Nesterenko wird am 23. Juni 1941 verhaftet. Der Leser erfährt in fünf Verhören die Lebensgeschichte Nesterenkos und seiner großen Liebe Vera.

Nein! Es gibt kein Happy End. Aber das ist die Geschichte dieser Zeit. Es ist die Geschichte des Stalinismus und seiner Opfer.

Filipenko lässt uns aus der Sicht seines Helden Nesterenkos, der eher ein Antiheld ist, die Verhöre durchstehen. Nesterenko ist ein kluger Mann, der weiß, dass er an einem Punkt angekommen ist, an dem er keinen Einfluss mehr auf sein Leben nehmen kann. Er jammert nicht! Er philosophiert und reflektiert die Geschichte, und spricht mit der „Liebsten“. Seine Antworten sind ironisch, sarkastisch und nehmen seinen „Folterknecht“ nicht ernst.

Nesterenko erzählt von seinem Leben in Russland, der Zeit in der Ukraine, seiner Arbeit in Polen und Istanbul, von seinen Tagen in Serbien und vom Glück und Unglück in Paris. Er hat viel erlebt, ist dem Tod schon so oft entkommen, dass er glaubt, nicht sterben zu können.

Die Figur Nesterenko steht für jeden einzelnen Gefangenen der damaligen Zeit. Die Geschichte Nesterenkos steht für die Geschichte der Sowjetunion.

„Russland ist, was es ist, weil dort Das Unzulässige zulässig ist. Sie und ich, wir haben ein Land verlassen, in dem niemand Alarm schlägt. Jedes Mal, wenn man sagen müsste: Es reicht!, sagt der Russe: Ja, so kann es nicht weitergehen, aber eigentlich …“

Worum geht es in „Kremulator“?

Es geht um Ohnmacht und ausgeliefert sein. Es geht um Mitläufer, denen nur ihr eigenes Wohl wichtig ist. Es geht um Liebe. Sicherlich darf man Sasha Filipenko auch so verstehen, dass er uns warnt, dass wir wachsam sein müssen. Und dass wir uns wehren müssen. Das heutige Russland ist leider nicht weit entfernt vom stalinistischen Russland.

Hörbuch „Kremulator“

Das Hörbuch „Kremulator“ wird von Nils Andre Brüning gesprochen. Dem Sprecher gelingt es, Nesterenkos Gefühle gegenüber seinem Verhörer in die Stimme einfließen zu lassen. Sicherlich war das nicht einfach. Genauso wenig einfach ist es für den Hörer, sich darauf einzulassen. 

„Kremulator“ ist ein Diogenes Hörbuch und hat eine Länge von 6 Stunden und 23 Minuten. 

Fazit/Kritik „Kremulator“

Es ist das zweite Buch, das ich von Sasha Filipenko lese. Schon „Rote Kreuze“ hat mich schwer beeindruckt. Und jetzt „Kremulator“, das wie schon erwähnt „wahr ist“, beruhend auf Verhörprotokollen. Es erinnert an ein Kammerspiel. Der Gefangene und sein Wärter, auch wenn es in diesem Fall nicht der Wärter ist, sondern derjenige der ihn verhört, ihn peinigt.

Es werden unglaubliche Zahlen genannt. Diese hohe Anzahl von Getöteten, Verhungerten, Gefolterten … Die Sowjetunion war groß und hatte viele Bürger. Stalin hatte viele Feinde. Die Säuberungsaktionen verlangten viele Opfer.

Aber auch diese durch Hunger und Krieg verrohten Menschen machen mir Angst. 

Aber am meisten belasten, die Namen der Orte, wie Charkiw, die uns in der heutigen Zeit wieder aus genau den gleichen Gründen präsent sind. Wieder sterben Menschen in der Ukraine durch den russischen Machtapparat. Nur dass der Aggressor nicht Josef Stalin, sondern Wladimir Putin heißt. An Grausamkeit stehen sie sich in nichts nach. Und die Welt, und das sind wir, schaut zu.

Besonders heute, am 17.04.2023, macht uns die russische Rechtssprechung unter Putins Macht klar, wie nah wir dem Stalinismus sind: Der Oppositionelle Wladimir Kara-Mursa wurde zu 25 Jahren Haft verurteilt (weiterlesen in Zeit online)

Es ist gut, dass es Menschen wie Sasha Filipenko gibt. Schriftsteller wie er zeigen uns, wie nah die Gegenwart mit der Vergangenheit verwoben ist. Sie kleiden menschliches Leid, Tragödien, die man sich kaum vorstellen kann, in eine Sprache, die uns hilft, uns diese Grausamkeit anzuhören, mit den vom System verfolgten Menschen mitzuleiden und geistig an ihrer Seite zu stehen. Sasha Filipenko erzählt gegen das Vergessen und kann leider trotzdem nicht verhindern, dass es wieder geschieht. Jetzt! In dieser Stunde!

Ich möchte noch auf das Interview mit Sasha Filipenko verweisen. Ohne Memorial, inzwischen in Russland zerschlagen, hätte es dieses Buch in dieser Form wahrscheinlich gar nicht geben können. Dem Schriftsteller wurden von dieser Organisation die Verhörprotokolle zur Verfügung gestellt.

Bitte! Lest das Buch! Erzählt es allen Menschen, die ihr kennt, weiter! Es ist keine leichte Lektüre, kein Horrorfilm kann schlimmer sein als dieser auf wahren Begebenheiten beruhende Roman. Trotzdem empfehle ich euch, „Kremulator“ zu lesen, weil die Opfer es verdient haben, dass ihre Geschichte gehört wird.

„Kremulator“ Sasha Filipenko

"Kremulator" Sasha Filipenko (Rezension)

Hardcover Leinen
256 Seiten
erschienen am 22. Februar 2023

978-3-257-07239-6

Mein herzlicher Dank geht an den Diogenes Verlag für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars.

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Rezension „Rote Kreuze“ Sasha Filipenko

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Connie Ruoff

Mein Name ist Connie Ruoff, ich bin 1960 geboren, habe Philosophie und Germanistik studiert. Damit mir zu Hause nicht langweilig wird, studiere ich"Bloggen professionell gemacht" in der Fernakademie. Ich lese alles, was ich finden kann.

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