Buchrezension »Wenn Gefühle auf Worte treffen« Siri Hustvedt

Ein Gespräch mit Elisabeth Bronfen

Die amerikanische Schriftstellerin Siri Hustvedt bietet im Gespräch mit Elisabeth Bronfen in »Wenn Gefühle auf Worte treffen« einen Zugang zu ihrem Werk und ihren Gedanken. Elisabeth Bronfen zeigt sich sehr vertraut mit Siri Hustvedts Büchern. Es ist eine Freude zuzuhören.

Elisabeth Bronfen ist Professorin für Anglistik und Lehrstuhlinhaberin am Englischen Seminar der Universität Zürich. Sie promovierte über den literarischen Raum und habilitierte über Darstellungen von Weiblichkeit und Tod. Seit 2007 ist die Kultur- und Literaturwissenschaftlerin und Buchautorin, Global Distinguished Professor an der New York University.

Der Aufbau „Wenn Gefühle auf Worte treffen“

Das Gespräch wurde in sieben Teile mit unterschiedlichen Schwerpunkten gegliedert. Die Gliederung ist gut gewählt:

  • Anfänge
  • Das Abenteuer New York
  • Engagement für Feminismus
  • Der Zauber der Malerei
  • Das magische Reich der Fiktion
  • Das verwundete Selbst
  • Für eine Kultur der Sorgsamkeit im politischen Handeln

Der Leser erkennt die Vielseitigkeit und Tiefe, die in den Werken Siri Hustvedts vorhanden sind. Ich bin versucht, es einen ganzheitlichen literarischen Anspruch zu nennen.

Anfänge „Wenn Gefühle auf Worte treffen“

Siri Hustvedt wuchs in Minnesota auf. Der Großvater stammte aus Norwegen. Die Autorin erzählt über ihre Familie und ihr Leben als Selfmade Wissenschaftlerin und Autorin. Ich bin immer wieder erstaunt, auf welch großen Wissensfundus oder Literaturfundus die Autorin zurückgreifen kann. Von „Jane Eyre“ über „Tristam Shandy“, „Middlemarch“ zu »Les Fleurs du mal«. Von Simone de Beauvoir über Georg Wilhelm Friedrich Hegel, bei Edmund Husserl und den Phänomenologen verweilend zu Georg Lacan und seinen Theorien, kann Siri Hustvedt mitreden.

Die Autorin liest viel und ist für alles offen, reflektiert ihren Erkenntnisfortschritt und recherchiert weiter. Es ist Wissens erweiternd, ihre Spur aufzunehmen und mit zu wandeln. 

Das Abenteuer New York „Wenn Gefühle auf Worte treffen“

Siri Hustvedt beleuchtet in diesem Punkt ihre Faszination zu New York. Die Stadt New York hat nicht nur für Siri Hustvedt eine große Bedeutung, sondern auch für ihren Ehemann Paul Auster. Das lässt sich aus ihren Büchern lesen. Bei Paul Auster sind es u. a. die »New York Trilogie« und bei Siri Hustvedt, denke ich umgehend, an „Damals“.

Die junge S. H. als literarische Anfängerin, die nach ihrem Herkunftsort Minnesota genannt wird, ist nicht mehr der gleiche Mensch, nachdem sie Jahre in New York ge- und erlebt hat.

Klassiker Siri Hustvedt

Engagement für Feminismus „Wenn Gefühle auf Worte treffen“

Die Autorin hat schon als junge Frau Simone de Beauvoir gelesen. In der Einführung zu »Eine Frau schaut auf Männer, die auf Frauen schauen« stellt sich die Autorin mit folgenden Worten vor: 

»Ich liebe Kunst, Geistes und Naturwissenschaften. Ich bin Schriftstellerin und Feministin.«

Sie interessierte sich schon als junges Mädchen für die Rechte der Frau. Feminismus bedeutet für sie immer auch Freiheit. Und zwar die »Freiheit zu« genauso, wie die »Freiheit von«.

Einige berühmten Künstlerinnen, die darunter litten, Frauen zu sein, widmet sich die Autorin immer wieder in ihren Büchern, so z. B in „Damals“ Baroness Elsa von Freytag-Loringhoven. Sie war eine deutsche Künstlerin des Dadaismus und das als Muse, Aktmodell, Malerin, Bildhauerin, Dichterin und Rezitatorin. Das berühmte Kunstwerk „The Fountain“ wird bis heute Marcel Duchamp zugeordnet, obwohl es Beweise gibt, dass die Baroness die Schöpferin des Werkes war. 

Der Zauber der Malerei „Wenn Gefühle auf Worte treffen“

An dieser Stelle möchte ich auf einen ganz besonderen Raum eingehen, dessen Bezeichnung Siri Hustvedt von ihrem Vater übernommen hat: »Yonder«, der Raum zwischen Erinnerung und Phantasie, eröffnet ein tiefgehenderes Verständnis für Literatur im Zusammenhang mit dem eigenen Selbst. Vielleicht findet genau hier auch die Begegnung zwischen Kunst und Betrachter statt. Als ich »Damals« und »Eine Frau schaut auf Männer, die auf Frauen schauen« rezensierte, habe ich mich mit Siri Hustvedts Gedanken zu Kunst und Betrachter auseinandergesetzt.

Kunst entsteht in diesem Raum durch den Betrachter und das Werk. Mittels eigener Vergangenheit und den erlittenen positiven wie negativen Schicksalsschlägen und der jeweiligen Befindlichkeit zum Zeitpunkt der Betrachtung. Das ist der strukturierte Raum, in dem dieses Kunsterlebnis entsteht und sich manifestiert. Gute Kunst ermuntert den Betrachter, die Struktur aufzubrechen und neu zusammenzusetzen. Vgl. Rezension „Eine Frau schaut auf Männer, die auf Frauen schauen

Näheres dazu findest du im Essay »Meine Louise Bourgeois«. Hier entwirft die Autorin, wie Kunst und Betrachter interagieren. Sie schrieb auch Essays über Vermeer, Goya, Chardin oder Morandi. Der Zauber besteht für Siri Hustvedt, die Werke dieser Künstler immer wieder ergründen zu wollen und dann doch nicht ganz zu begreifen und dabei oftmals mit neuen Eindrücken überrascht zu werden. Vermeer, Goya und Louise des Bourgeois sind Künstler bei deren Werken die Autorin immer wieder etwas Neues entdeckt, und die Analyse unter anderen Gesichtspunkten erneut einordnet.

Besonders beeindruckt hat mich Siri Hustvedts Essay über Pedro Almodovar und Robert Mapplethorpe, aus »Eine Frau schaut auf Männer, die auf Frauen schauen“. Mir war Robert Mapplethorpe nicht bekannt. Über die Recherche zu Mapplethorpe, entdeckte ich Patti Smith wieder. Aber nicht als Godmother of Punk, sondern als einfühlsame Poetin in »Just Kids«.

Mit den Essays über Kunst gelingt es Siri Hustvedt, ihre in »Yonder« entstandene Kunst empfindsam und lebendig an den Leser weiterzureichen. Beim »Lauschen« des vorliegenden Gesprächs konnte ich viele Gedankengänge schrittweise nachvollziehen und verstehen.

Wenn Gefühle auf Worte treffen

Das magische Reich der Fiktion „Wenn Gefühle auf Worte treffen“

Zum magischen Reich der Fiktion passt besonders gut das Essay »Warum diese Geschichte und nicht eine andere?«. Woher nimmt der Autor seine Ideen? Aus der eigenen Biografie? Oder sind wir wieder an dem Punkt Erinnerung? An dem Punkt zwischen Erinnerung und Fiktion? Besonders das

Z W I S C H E N

ist ein Bereich, den die Autorin immer wieder beleuchtet.

Im Gegensatz zu der mittelalterlichen Vorstellung, unsere Erinnerungen werden in einem Apothekerschrank verwahrt und wir müssen sie nur einfach aus der Schublade holen, ist das Erinnern ein komplexer Vorgang, dessen Ergebnis variabel ist.

Unsere Erinnerung wird mittels unserer Erfahrungen neu zusammengesetzt und damit auch bewertet. Dadurch ist Erinnerung nicht statisch, sondern dynamisch.

Wenn unsere Erinnerungen dynamisch sind, was ist dann wahr? Wie wahr sind unsere Erinnerungen. Die Erinnerung von gestern ist nicht identisch mit der Erinnerung von heute.

Jeder der schreibt, kennt das Gefühl, dass die Protagonisten ein eigenes Leben und einen eigenen Willen zeigen und dass die Geschichte sich ungeplant weiter entwickelt.

Siri Hustvedt unterscheidet zwischen Sujet, bewusste Entscheidungen (Beispiele hiefür sind: In welches Genre die Geschichte eingeordnet wird, die Erzählperspektive, sprachliche Gestaltung und das spätere Layout) und Fabula, dem was sich in einer Geschichte ereignet. Fabula steckt im Autor, er weiß vielleicht noch nichts Genaues, aber er ahnt ihr Vorhandensein und muss sie nur greifen. Das erinnert mich an Platons Ideenlehre. Wir haben die Ideen in uns (a Apriori vor jeder Erfahrung), müssen sie erkennen und darauf zugreifen.

Deswegen wissen wir intuitiv, dass die Geschichte so nicht stimmt und ändern sie, im Glauben, dass sich die Handlung verselbständigt hat, oder die Protagonisten machen, was sie wollen. Und das wissen wir, obwohl wir im Schreibprozess zeitweilig die Welt einer anderen Person betreten. Nur dann wirkt es authentisch.

Das verwundete Selbst „Wenn Gefühle auf Worte treffen“

In »Die zitternde Frau« verarbeitet Siri Hustvedt eigene Erfahrungen. Ausgelöst durch den Tod des Vaters, überfiel die Autorin zeitweise ein unerklärliches Zittern. Woher kommt das? Was sagen die Neurologen?

Indem sich die Autorin selbst als Fallbeispiel nahm, beleuchtete sie das Symptom aus Richtung der Psychoanalyse, der Psychiatrie und den Neurowissenschaften.

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»Can that Man be President?«

Für eine Kultur der Sorgsamkeit im politischen Handeln „Wenn Gefühle auf Worte treffen“

Siri Hustvedt bemängelt, dass niemand ihre Zeichnungen zum Beispiel in »Damals« kommentiert. Also ich finde gerade diese Zeichnung des »Mächtigsten Manns der Welt« treffend. Als Siri Hustvedt im Frankfurter Schauspiel las, bekam sie Standing Ovations, wegen ihrer politischen Haltung. Ich kann mich hier nur anschließen.

Die Autorin wuchs in Zeiten, in denen die Bürgerrechtsbewegung Thema der Abendnachrichten war, auf. Sie erinnert sich an Jimmy Carter und seinen unermüdlichen Einsatz für die Bürgerrechte und ihr Entsetzen über die Wahl Ronald Reagans zum Präsidenten. 

Ich will jetzt gar nicht weiter spoilern, weil es sich alleine für diesen Punkt lohnt, einen Blick ins Buch zu werfen.

Als Abschluss des Buches findet der Leser eine kleine Vita zu Siri Hustvedts Leben und Werk.

Fazit zu »Wenn Gefühle auf Worte treffen«

»Wenn Gefühle auf Worte treffen« zeichnet ein lebendiges Bild von Siri Hustvedt. Ein Bild, das genau das verkörpert, womit ich Siri Hustvedt verbinde. Wissen, Inspiration und Motivation. Die Autorin erkennt die Bedeutung von Wissen, dass Wissen Macht ist, nicht in dem Sinne jemanden zu beherrschen, aber in dem Sinne, dass man mit Wissen, Probleme lösen oder vermindern kann. Wissen ist das Fenster zur Weisheit.

Wie schon erwähnt, war war ich April 2019 bei Siri Hustvedts Lesung im Schauspiel Frankfurt. Sie zeigte sich genau so, wie ich mir »meine Siri Hustvedt« vorstellte. Ich habe inzwischen ein paar Bücher von Siri Hustvedt und Paul Auster gelesen und rezensiert und ich kann mich der Faszination beider Autorin nicht entziehen.

Ich werde bei meinen Ausführungen zu Siri Hustvedt und ihren Büchern und Essays immer wieder zu Paul Auster, Siri Hustvedts Ehemann blicken, weil ich finde, dass die Werke der beiden Autoren sich gegenseitig ergänzen. Beide profitieren voneinander, man könnte an einen Synergieeffekt denken.

Ich freute mich sehr auf das Buch »Wenn Gefühle auf Worte treffen«. Ich habe mich über drei Monate mit dem Buch beschäftigt, weil es Siri Hustvedt immer wieder gelingt, mich mit einem mir neuen bzw. unbekannten Thema zu begeistern, und mich neugierig macht, dass ich mehr darüber wissen möchte.

Nun, bei »Wenn Gefühle auf Worte treffen«, habe ich mich nicht nur intensiver mit der Autorin und ihren Werken auseinandergesetzt, sondern auch mit den »Lacan-Theorien«.

Siri Hustvedt ist für mich Inspiration und Motivation


Wenn Gefühle auf Worte treffen

Kampa Salon „Wenn Gefühle auf Worte treffen“

Das Buch erschien im Züricher Kampa Verlag in der Reihe „Kampa Salon“, eine Reihe, die ich leider erst durch dieses Buch entdeckt habe. Bei der Reihe handelt es sich um interessante Gespräche, zwischen Künstlern, Schriftstellern, Menschen denen man gerne lauscht. Aus dieser Reihe habe ich mir gerade Margaret Atwood bestellt, weil ich „Der Report der Magd“ lese und recherchiere und Daniel Kehlmann auf meine Leseliste gesetzt.

Mein herzlicher Dank geht an den Verlag für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars.


Weiterführende Links und Rezensionen

Siri Hustvedt die Website der Autorin

Rezension „Die Illusion der Gewissheit“ von Siri Hustvedt

Rezension „Damals“ von Siri Hustvedt

Rezension „Eine Frau schaut auf Männer, die auf Frauen schauen“

Standing Ovations für Siri Hustvedt

Projektseite Siri Hustvedt und Paul Auster

Charlotte Lamping auf Literaturkritik.de

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Kampa Verlag

Benutzerbild von Connie Ruoff

Connie Ruoff

Mein Name ist Connie Ruoff, ich bin 1960 geboren, habe Philosophie und Germanistik studiert. Damit mir zu Hause nicht langweilig wird, studiere ich"Bloggen professionell gemacht" in der Fernakademie. Ich lese alles, was ich finden kann.

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