Wie schuldig kann man sein?
Das Hörbuch wird von Hans Korte Gesprochen
Inhalt/Zusammenfassung „Der Vorleser“
Die Hauptfigur ist Michael Berg, ein fünfzehnjähriger Schüler, der ein Verhältnis mit Hanna Schmitz, einer Frau in den Dreißigerjahren, hat. Sie sehen sich täglich und die Besuche finden immer nach dem gleichen Ritual statt. Sie baden, dann liest ihr Michael vor und als Abschluss schlafen sie miteinander. Sie lernen voneinander. Michael beginnt sich abzunabeln, und reflektiert, ob sein Verhalten ihr gegenüber loyal ist. Sie beendet die Beziehung, indem sie verschwindet.
Michael versucht, sie zu vergessen.
Als Student nimmt er an einer Gerichtsverhandlung gegen WärterInnen eines Konzentrationslagers teil. Er erkennt Hanna auf der Anklagebank. Aufmerksam verfolgt er die Verhandlungstage. Als Hanna zur Feststellung ihrer Schuld, eine Schriftprobe abgeben soll, weigert sie sich und nimmt die Schuld auf sich. Michael erkennt, dass Hanna Analphabetin ist. Er überdenkt, ob er diese Tatsache den Richtern erzählen soll. Sie wird zu lebenslänglicher Haftstrafe verurteilt. Er beginnt, ihr wieder vorzulesen. Jahre später, inzwischen hat er geheiratet, eine Tochter und ist wieder geschieden, schreibt sie ihm einen Brief. Sie hat während der Haft Lesen und Schreiben gelernt. Michael freut sich sehr für sie. Er schreibt nicht zurück. Er besucht sie nicht.
Nach 18 Jahren soll Hanna entlassen werden. Michael sucht ihr eine Wohnung und eine Arbeitsstelle. Kurz vor Hannas Entlassung besucht er sie. Eine ergreifende Stelle. Michael ist erschreckt, sie sieht aus und riecht wie eine alte Frau. Er erkennt nicht mehr die Frau in ihr, die er geliebt und begehrt hat. Hanna ihrerseits stellt fest, dass er keinesfalls das Leben mit ihr teilen möchte. Am nächsten Tag wird Michael von der Gefängnisdirektorin angerufen. Hanna hat sich erhängt. Hanna vermacht der Überlebenden des KZ, zur weiteren Verfügung 7000 DM.
Der letzte Satz:
„Ich war das erste und einzige Mal an ihrem Grab.“
Interpretation zu „Der Vorleser“
Das Buch “ Der Vorleser“ gehört ebenso, wie „Der Trafikant“ oder „Unter der Drachenwand“ zur Erinnerungsliteratur. Die Geschichte ist aus der Sicht Michaels geschrieben. Ein Junge in der Pubertät ohne sexuelle Erfahrung wird von Hanna verführt und in die Liebe eingeführt. Es ist eine Beziehung, bei der die Funktion des Vorlesens sicherlich mit einem Vorspiel verglichen werden kann. Bernhard Schlink erzählt die Liebesgeschichte in leisen Tönen, die mich sehr berührt haben.
Hanna, eine Analphabetin, die Handlangerin des Nazisystems war? Wurde sie zum Täter, weil sie weder lesen noch schreiben konnte? Oder, weil sie es um jeden Preis verbergen wollte? Ist Hanna eine Päderastin? Der Leser hat eine Beobachtungsfunktion und versucht Handlungen zu verstehen, die er nicht verstehen kann. Hannas Antwort auf eine Frage vor Gericht, bringt die Sache auf den Punkt. „Was hätten Sie denn gemacht?“
Gewalt von Frauen an Frauen begangen. Aus Pflichterfüllung.
Hans Korte liest „Der Vorleser“
Ich konnte mich gut auf den Sprecher, Hans Korte, einlassen. Die Stimme deckte sich mit meiner Vorstellung von Michael.
Der Trailer zum Film
Kritik „Der Vorleser“
Das Buch hat mich sehr berührt. Hannas Schuld steht außer Frage. Michaels Gefühle sind nicht frei von Schuld. Ist er ihr Opfer?
Es ist ein komplexes Geschehen. Es geht nicht nur um Schuld. Es geht auch um die eigene Identität. Wie sehr hat es Hanna in ihrem Verhalten beeinflusst, Analphabetin zu sein.
Mit Sicherheit ist Hanna auch ein Opfer des Nationalsozialismus geworden. „Der Vorleser“ gehört zur Nachkriegsliteratur.
Ich glaube, die Geschichte wird mich noch eine Zeit lang beschäftigen.
Weiter zu …
Rezension zu „Olga“ von Bernhard Schlink
diogenesverlag · Bernhard Schlink liest aus ›Die Frau auf der Treppe‹
Das Buch bei Wikipedia
Pingback: "Abschiedsfarben" Bernhard Schlink | SCHREIBBLOGG 2020