Auf der Bühne des Sturm und Drangs

„1774 – Als die jungen Genies die Freiheit suchten“: Ein Protagonist namens Johann Wolfgang von Goethe, der von acht weiteren Genies umrahmt wird. Fast genau so viele Musen, darunter auch Sophie La Roche. Der unglücklich liebende Lenz und noch viele weitere, kleine und große Nebendarsteller stehen auf dieser Bühne des „Sturm und Drangs“.

Inhalt/Zusammenfassung „1774 – Als die jungen Genies die Freiheit suchten“

Francesca Schmidt erzählt uns wichtige und weniger wichtige, dafür amüsante Episoden aus diesem Jahr 1774. Jedem Monat des Jahres ist ein Kapitel gewidmet.

Die jungen Genies sind Heinrich Christian Boie, Johann Wolfgang von Goethe, Johann Gottfried Herder, Friedrich Maximilian Klinger, Johann Caspar Lavater, Jakob Michael Reinhold Lenz, Johann Heinrich Merck, Christian Friedrich Daniel Schubart und Heinrich Leopold Wagner.

Es sind große Namen, denen wir begegnen. Johann Gottfried Herder, der mit finanziellen Problemen zu kämpfen hat, den Ruf der erstrebten Professur nicht erhält und im Hintergrund mit einer lauernden Depression belastet ist. Sophie La Roche hat einen literarischen Salon, der gut besucht wird

Die Zeit der Aufklärung ist vollzogen und es beginnt eine neue Ära. Nach seinem erfolgreichen Werk „Götz von Berlichingen“, schreibt Goethe in nur vier Wochen „Die Leiden des jungen Werthers“. Ein Briefroman, mit dem er eine selbst erlebte „Zeit des Unglücklichseins“ verarbeitete. Es ist ein Roman, der polarisiert. Darf sich jemand selbst das Leben nehmen? Viele glaubten, Selbstmord gehöre bestraft.

Da kommt also jetzt ein junger leistungsfähiger und begabter Mann daher, der an den strengen Regeln der Gesellschaft leidet, der seine Gefühle und auch seine Sexualität nicht ausleben darf und daher frei entscheidet, Selbstmord zu begehen, sich über die Regeln der Gesellschaft, der Kirche, der Philosophen hinwegzusetzen. Selbstbewusst besteht Werther schon zu Beginn [….] der Mensch habe „das süße Gefühl von Freiheit, und dass er diesen Kerker verlassen kann, wann er will“.

S. 53.

Die jungen Schriftsteller sind gut vernetzt, man schreibt sich, man trifft sich, liest einander vor und hört einander zu. Es wird über Pädagogik und Klopstocks „Gelehrtenrepublik“, einer Utopie des idealen Staates, diskutiert. Neue Werke werden anonym veröffentlicht. Danach beginnt das allgemeine Erraten des Urhebers.

Lavater bricht zusammen mit dem Kupferstecher Georg Friedrich Schmoll auf zur Kur zu den Emser Quellen und besucht dabei die „Schreiber“. Zu einem Treffen mit Herder kommt es nicht. Schmoll soll von allen Menschen, die Lavater auffallen, einen Stich anfertigen, weil er glaubt, von der Physiognomie auf den Charakter schließen zu können.

Christian Friedrich Daniel Schubart gründet in Augsburg die Zeitschrift „Deutsche Chronik“. Das Neue daran ist der Inhalt: Krieg, Politik im In- und Ausland, Literatur, Musik, Gesellschaftsnachrichten, Klatsch, Religion und alles wird kommentiert.

Das Buch ist unterhaltsam geschrieben. Manche Details empfinde ich als unwichtig, andere Informationen, wie dass in Bayern das Modell Realschule entdeckt wird, das sich bis heute gehalten hat, finde ich spannend. Auch die Berichte über das schwierige Leben der Hofmeister (die ersten Lehrer), die mit der Erziehung der Kinder beauftragt wurden, ist interessant.

1774 - Als die jungen Genies die Freiheit suchten“  Südverlag, Rezension
„1774 – Als die jungen Genies die Freiheit suchten“ , Francesca Schmidt, Südverlag

Sehr gut gelungen ist der Anhang: Abbildungen, Personenverzeichnisse der jungen Genies, deren Mitstreiter, ihrer Musen, aber auch ihrer Gegner, und auch das sonstige Personal wird im Überblick aufgelistet. Dazu kommt eine Zeittafel, welche die Ereignisse des Jahres 1774 noch einmal kurz zusammenfasst. Eine Auswahlbibliografie der recherchierten Werke, einschließlich Sekundärliteratur. Wunderbar für jeden, der sich weitere Details erlesen möchte.

Das Cover zeigt den jungen Goethe auf einer Postkarte, nach der Kopie eines Gemäldes von Georg Oswald May von 1779, Im Hintergrund der Frankfurter Römerberg von Friedrich Wilhelm Dellenkamp. Diese Umschlaggestaltung von Silke Nalbach ist sehr gut gelungen und passt genau zum Inhalt.

Das Buch „1774 –Als die jungen Genies die Freiheit suchten“ hat einen Festen Einband, 296 Seiten und ist am 07.03.2022 im Südverlag erschienen.

Fazit/Kritik „1774 – Als die jungen Genies die Freiheit suchten“

Francesca Schmidt erzählt halb wissenschaftlich, leicht und gut verständlich die Vorkommnisse des Jahres 1774.

Damit gewinnen die Leser*Innen einen Überblick zur Thematik und der Zeitgeschichte. Um das Ganze etwas illustrer zu gestalten, wird ein wenig „Klatsch und Tratsch“ mit verschriftet. Ich bin mir nicht sicher, was ich davon halten soll.

Auf der einen Seite finde ich es gut, wenn sich dadurch vielleicht mehr Leser*Innen für dieses Thema interessieren. Auf der anderen Seite finde ich es zwischendurch sehr langatmig und für mich fast schon langweilig.

Wobei mir das Buch insgesamt ganz gut gefallen hat. Besonders gut hat mir gefallen, wie die Autorin, das Netzwerk rund um Goethe beschreibt. Auch die Erwartungshaltung der jungen Schreiber untereinander ist sehr komplex.

Francesca Schmidt hat gute Recherchearbeit geleistet. Sicherlich ist es bei der Fülle von „jungen Genies“ und Ereignissen schwierig, die Spreu vom Weizen zu trennen. Der Autorin ist das souverän, gut gelungen, natürlich gibt es Stellen, die Längen haben, aber das liegt wohl auch daran, dass nicht jeden Leser, jeder Gesichtspunkt interessiert, der aber für das Gesamtbild doch eine Rolle spielt.

Weiterführende Links

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Südverlag

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Connie Ruoff

Mein Name ist Connie Ruoff, ich bin 1960 geboren, habe Philosophie und Germanistik studiert. Damit mir zu Hause nicht langweilig wird, studiere ich"Bloggen professionell gemacht" in der Fernakademie. Ich lese alles, was ich finden kann.

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