Meine Gedanken und die Buchrezension „Winterjournal“ von Paul Auster

Eine schonungslose Bestandsaufnahme und eine hinreißende Liebeserklärung

Eine sehr begeisterte Rezension

  1. Wie wurde ich auf „Winterjournal“ aufmerksam?

Seit einigen Wochen beschäftige ich mich mit Paul Austers Büchern. Ich wurde auf ihn aufmerksam, als ich im Herbst 2018 „Die Illusion der Gewissheit“ von Siri Hustvedt rezensierte. Dabei entdeckte ich, ein gemeinsames Interview der sympathischen Autorin und ihrem Ehemann Paul Auster, das mich sehr neugierig gemacht hat. Als ich dann weitere Bücher der Autorin las und rezensierte, fiel mir auf, dass Paul Auster in seinem aktuellen Buch 4-3-2-1, eine ähnliche, wenn nicht gar identische Problematik durchspielte, der auch Siri Hustvedt in ihrem Roman „Damals“ nachspürte. Wie wurde der Mensch, der ich heute bin, aus mir? Was wäre, wenn ich die eine oder andere Entscheidung anders getroffen hätte? Wäre ich dann immer noch „Ich“?

Also habe ich um meine Neugier zu stillen, mit der Kurzgeschichten Sammlung „Das rote Notizbuch“, begonnen. Paul Auster  gelingt es, die eigenen Gedanken in einer literarischen Erzählweise, die ästhetisch, aber dennoch präzise und schnörkellos ist, dem Leser darzubieten. Werner Schmitz hat diese Virtuosität der Sprache bravurös übersetzt.

Nun wollte ich erst Recht mehr wissen! Und wo erfährt man mehr über einen Schriftsteller, als in seiner Biografie?

Zum Inhalt „Winterjournal“

Bei Paul Auster ist die Antwort jedoch vielschichtiger! Er offenbart, und zeigt sich,  in all seinen Büchern sehr privat und offenbart dem Leser, viel von seinem inneren Ich. Aber zurück zum „Winterjournal“.

„Winterjournal“ von Paul Auster ist der erste Teil seiner Biografie. Ein Jahr später folgte der zweite Teil, „Bericht aus dem Inneren“.

Es ist eine Biografie, die Spuren folgt, die das Leben auf dem eigenen Körper hinterlassen hat. Es sind nicht nur Narben und Blessuren auf der Haut, sondern es sind auch Narben des Lebens. Jeder erinnert sich an diese „Unfälle“, weil sie Narben auf unserem Körper hinterlassen haben, die mit Schmerzen verbunden waren. Es ist mit seinen Worten: Eine Phänomenologie des Atmens und es ist ihm ein Bedürfnis, die Worte jetzt niederzuschreiben.

Sprich jetzt, bevor es zu spät ist, und hoffentlich kannst du so lange sprechen, bis nichts mehr zu sagen ist. Schließlich verrinnt die Zeit.

Winterjournal S.7.

Phänomenologie des Atmens

Paul Auster gibt sich in vielen einzelnen Episoden, die er aus der Erinnerung heraus erzählt, zu erkennen, indem er sich öffnet und dem Leser Details seines Lebens preisgibt. Ehrlich und ungeschönt, manchmal geradezu exhibitionistisch beschreibt er, was er erlebte. Es sind weniger die einzelnen Geschehnisse, die beeindrucken, sondern es sind, die Gedanken und Erinnerungen, die er dazu beiträgt.

Zwiegespräch

Als Erstes fiel mir die Erzählperspektive auf. Paul Auster wählte die zweite Person Singular, also das „Du“.

DU DENKST, das wird dir niemals passieren, das kann dir niemals passieren, du seist der einzige Mensch auf der Welt, dem nichts von alldem jemals passieren wird, und dann geht es los, und eins nach dem anderen passiert dir all das genau so, wie es jedem anderen passiert.

Winterjournal S.7.

Das gesamte Buch wird aus dieser Perspektive erzählt. Der Autor war 64 Jahre alt, als er „Winterjournal“ schrieb. Es handelt sich um keine Erzählung, ich betrachte es als ein Zwiegespräch mit sich selbst. Auf mich wirkt es, als ob er sich selbst auf Geschehnisse aufmerksam macht und es erstaunt wahrnimmt. Beispiele:

Er weist sein fiktives Du darauf hin, wann er das erste Mal gedanklich jemanden getötet hat.

Nein, der Mann hatte unrecht, er hätte der Jungen überfahren sollen, nicht den Hund […], dass du in diesem Augenblick zum ersten Mal in deinem Leben einem anderen Menschen den Tod gewünscht hast

Winterjournal S. 48.

Der Leser sieht anhand dieser Textstellen, wie tiefsinnig und reflektiert Paul Auster mit seinen Erinnerungen umgeht.

Wie zuverlässig sind diese Erinnerungen? Oft verknüpft er diese mit Sinneseindrücken. Nur diese merkt man sich. Verletzungen, Schmerzen körperlicher, aber auch seelischer Art. Einer seiner ersten bewussten Erlebnisse war, dass ihm das Nachbarskind den Spielzeugrechen auf seinen Kopf schlug, als er selbst erst drei oder vier Jahre alt war.

Schuld ist ein zentrales Thema

Es geht um Schuld. Mit 52 Jahren war er mit seiner Frau, seiner 15-jährigen Tochter und dem Familienhund mit dem Auto auf dem Heimweg. Doch die Autofahrt endete mit einem schweren Unfall. Obwohl er keine Schuld trug, setzte er sich danach nie mehr ans Steuer.

Er offenbart Schnipsel seines Lebens, Er macht sich selbst auf Erinnerungen aufmerksam. Es geht um familiäre Geheimnisse oder auch Abgründe.

Wie sagte deine Großmutter zu deiner Mutter: „Dein Vater wäre so ein wunderbarer Mann – wenn er nur anders wäre.“

Winterjournal S. 10.

Verlust

Es geht um Verlust bzw. den Umgang mit Verlust. Es beginnt mit dem oben schon angedeuteten Verlust des geliebten Hundes. Der Leser erfährt seine Trauer und den Umgang mit dem Tod des Vaters und den Tod der Mutter. Vor allem seine Mutter nimmt einen großen Teil des Buches ein.

Wie geht man damit um, wenn man erfährt, dass man innerhalb weniger Wochen sterben muss, ohne die Möglichkeit daran etwas ändern zu können. Paul Auster thematisiert das fiktiv, indem er sich über einen Film, der davon handelt, identifiziert.

Der Winter naht!

Der Winter naht! Der Winter, die letzte der Jahreszeiten, bevor das Jahr zu Ende geht. Es wächst nichts mehr. Die Blüte und Fülle ist vergangen. Ich denke, deswegen hat Paul Auster den Namen „Winterjournal“ gewählt, was ich sehr passend finde. Paul Auster spricht schonungslos ehrlich über zahlreiche Liebesbeziehungen. Es waren nie oberflächliche „One-Night-Stands“. Er sucht immer die Begegnung mit dem Menschen hinter den Äußerlichkeiten. Auch das Aufwachsen seines Sohnes auf erster Ehe und der Tochter schildert er liebevoll.

Die Liebe

Und dann geschieht es, dass er Siri Hustvedt begegnet und er weiß, er ist dort, wo er immer hin wollte. Dieses Buch ist ein einzigartiges Bekenntnis zu seiner Frau. Es ist ein Liebesbrief, wie man ihn kaum schöner hätte entwerfen können. Er preist ihre Schönheit, ihre Herzenswärme und ihre Intelligenz, ohne schmalzig oder übertrieben zu wirken. Und man spürt sein Erstaunen und die ihn beruhigende Erleichterung, dass sie tatsächlich seine Gefährtin ist.

Ein Buch, das Herz und Seele berührt

Vielleicht liegt es daran, dass ich selbst bald 60 werde und mir, seit einiger Zeit täglich bewusst ist, dass ich keine Zeit mehr vergeuden darf.

Ich habe beim Lesen nicht den Schriftsteller, sondern den Menschen Paul Auster kennengelernt.

Ich habe es gehört und gelesen. Das Hörbuch wird von Burckhardt Klaußner einfühlsam gelesen.

Ich habe für meine ausführlichen Gedanken zum Buch und zu Paul Auster, „Ein Leben in Worten – Ein Gespräch mit Inge Brigitte Siegumfeldt“, als Quelle zu Rate gezogen.

Burghart Klaußner liest „Winterjournal“

Burghart Klaußner hat in Berlin Germanistik und Theaterwissenschaft studiert und eine Schauspielausbildung an der Max-Reinhard-Schule absolviert. Ende März 2019 war er in der ARD im zweiteiligen Dokudrama „Brecht“ von Heinrich Breloer zu sehen. Viele kennen ihn vielleicht aus Filmen wie „Rossini“, „Good Bye Lenin“ und „Das weiße Band“, oder aus Serien wie „Solo für Schwarz“ und „Adelheid und ihre Mörder“. Und er spielte die Titelrolle in „Der Staat gegen Fritz Bauer“, wofür er mehrfach ausgezeichnet wurde.

Burghard Klaußner spielt Theater. „Kaufmann von Venedig“. Auch mit folgenden Stücken „Der Gott des Gemetzels“, „Das weite Land“, „Iphigenie“ und „Don Carlos“ stand er schon auf der Bühne.

Am 8.8.2019 liest er auf den Salzburger Festspielen „Ulyssys“.

Burghart Klaußner singt. Im Repertoire hat er Lieder von Charles Trenet, Cole Porter, Tom Waits, den Stones, Karl Valentin und Johnny Cash.

Burghard Klaußner hat einige Hörbücher gesprochen: „Warte nicht auf bessere Zeiten“ von Wolf Biermann, „Solar“ von Ian McEwan, „F“ von Daniel Kehlmann, „Stoner“ von John Williams, mehrere Bücher von Ferdinand von Schirach und natürlich von Paul Auster.

Also du siehst, Burghart Klaußner ist ein sehr begabter und vielseitiger Künstler. Ich empfehle einen Besuch seiner Website. Besonders das Video „Ein Koffer für Berlin“ lohnt sich nicht nur musikalisch, sondern auch der Text ist eine Bereicherung.

Ein Besuch auf seiner offziellen Seite lohnt sich: burghart-klaussner.de

By Connie Ruoff

Thumbnail Connie Ruoff
„Winterjournal“
 Romane
Rowohlt
30.01.2015
Hardcover 256
Werner Schmitz

Burghart Klaußner
„Winter Journal“. New York 2012.
  7 Std. 6 Min.
BookBeat gehört
Winterjournal Paul Auster Projekt Literaturblog

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Connie Ruoff

1 Kommentar zu „„Winterjournal“ von Paul Auster (Rezension)“

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