Der Entwurf einer glaubhaften fiktiven Wissenschaftsgeschichte

Zusammenfassung/Inhalt „Maschinen wie ich“

„Maschinen wie ich“ ist das erste Buch, das ich von Ian McEwan lese. Ich war sofort angetan von seinem Schreib- und Erzählstil. Er unterfüttert Charlies Denk-Monologe mit fiktiven Fakten. Es geschieht viel auf diesen 400 Seiten und es geschieht noch viel mehr, wenn man Charlies Seelenleben betrachtet. Ich bin etwas zerrissen, wie ich das Geschehene gliedern kann. Ich beginne mit eine Kurzvita von Alan Turing, weil ich glaube, dass Alan Turing der Ausgangspunkt ist.

Wo und wann spielt „Maschinen wie ich“? Ich werde die Rezension um Alan Turing bauen. Ian McEwan hat eine fiktive Welt geschaffen, in der Alan Turing sich 1952 nicht das Leben nimmt, sondern als homosexueller Wissenschaftler im Rentenalter unbehelligt und frei lebt und immer noch forscht. So hätte Alan Turings Leben auch verlaufen können! Spielen wir das Szenario weiter. Alan Turing hat sich schon in 40er Jahren mit künstlicher Intelligenz beschäftigt und mit seinem Test exakt festgelegt, ab wann man von maschineller Intelligenz reden kann. Wir sind in den 80er Jahren. Also hätte Turing 30 Jahre weiter forschen können. Gewiss hätten ihm genügend finanzielle Mittel zur Verfügung gestanden. Im Buch erfahrt ihr, wie dieser fiktive Wissensstand erreicht wurde. Der Autor entwirft eine glaubhafte, fiktive Wissenschaftsgeschichte.

Aber Ian McEwan hat in „Maschinen wie ich“ nicht nur die Weltgeschichte verändert, sondern auch die Politik, das Zeitgeschehen und die Geschichte.

Ich beginne mit den Fakten. Wir haben drei Hauptfiguren in „Maschinen wie ich“: Charlie, Miranda und Adam. Wie im tatsächlichen Leben gilt auch hier: Drei sind einer zu viel. Aber es handelt sich keineswegs und eine einfache ménage à trois. Es ist noch viel mehr.

Charlie liebt neue Technikspielereien und ist einer der ersten „Besitzer“ eines Androiden. Ja, ein Android! Adam ist der Android und führt tatsächlich ein eigenständiges Leben. Zumindest reagiert seine Umwelt auf ihn, genau so, wie es bei einem Menschen geschieht. Er trifft eigenständige Entscheidungen. Er ruft bei seinen Mitmenschen soziale Gefühle hervor. Er wird als Mann wahrgenommen und begehrt. Charlie hält ihn für eine bessere Ausgabe des Menschen. Er und Miranda haben seine Charakterzüge vor „Inbetriebnahme“ gewählt. Er ist sozusagen ihr „Kind“ oder ihr „Produkt“?  Aber ist es möglich, einen Menschen nach Rezept zu „backen“?

Ian McEwan zeigt dem Leser im besten „Show it – don’t Tell it“ die Probleme, die dieses Konzept heraufbeschwören kann. Eine lernfähige Maschine, die ausgestattet mit guten Rahmenbedingungen, Gesetzen und Verhaltensregeln ihr „Leben“ unter den Menschen führt. Diese Maschine lernt und saugt Wissen auf. Aber diese Maschine lernt nicht nur theoretisches Wissen, sondern sieht auch, wie wir Menschen unser Leben meistern, wie wir uns an Regeln halten oder sie umgehen. Wie geht eine Maschine damit um? Eine Maschine, deren Basis Algorithmen und der Binärcode sind?

Inwieweit können Maschinen ein Bewusstsein erreichen? 

Betrachten wir einmal die wahre Vita von Alan Mathison Turing:
(* 23. Juni 1912 in London; † 7. Juni 1954 in Wilmslow, Cheshire) war ein britischer Logiker, Mathematiker, Kryptoanalytiker und Informatiker. Er gilt heute als einer der einflussreichsten Theoretiker der frühen Computerentwicklung und Informatik. Turing schuf einen großen Teil der theoretischen Grundlagen für die moderne Informations- und Computertechnologie. Als richtungsweisend erwiesen sich auch seine Beiträge zur theoretischen Biologie.

Während des Zweiten Weltkrieges arbeitete er an der Decodierung, der mit der „Enigma“ verschlüsselten feindlichen Funksprüchen. Aufgrund der militärischen Brisanz gelangten viele seiner Forschungsergebnisse später an die Öffentlichkeit.

Turing entwickelte den Turing-Test zum Überprüfen des Vorhandenseins von künstlicher Intelligenz.

1952 wurde Turing wegen seiner Homosexualität (damals noch als Straftat verfolgt), zur chemischen Kastration verurteilt. An den Folgen der Hormonbehandlung erkrankte er an einer Depression. Zwei Jahre später wählte er den Suizid.

In Computing machinery and intelligence (Mind, Oktober 1950) griff Turing die Problematik der künstlichen Intelligenz auf und schlug den Turing-Test als Kriterium vor, ob eine Maschine dem Menschen vergleichbar denkfähig ist. Da der Denkvorgang nicht formalisierbar ist, betrachtet der Test nur die Antworten einer Maschine im Dialog mit einem Menschen, d. h. das kommunikative Verhalten der Maschine. Wenn dieses von einem menschlichen Verhalten nicht unterscheidbar erscheint, soll von maschineller Intelligenz gesprochen werden. Er beeinflusste durch die Veröffentlichung die Entwicklung der Künstlichen Intelligenz maßgeblich. Wikipedia 

Posthume Ehrungen

Der Turing Award wird jährlich von der Association for Computing Machinery an Personen verliehen, die bedeutende Beiträge zur Informatik geleistet haben. Er wird weithin als „Nobelpreis“ der Informatik angesehen.

Ian McEwan hat einen sehr schönen Sprachstil. Das Buch ist in der Ich-Form, aus der Perspektive Charlies geschrieben. Und der Schreibstil nimmt dich so gefangen.  Du fängst an zu lesen und liest und liest und merkst nicht, dass du schon am Ende bist.

Das Covermotiv ist ein Gemälde von Jarek Puczel, „Meeting“

Das Cover zeigt zwei Männer und eine Frau. Die Männer schwarz gekleidet, die Frau im türkisen Kleid und hohen Schuhen. Die Frau ist dem linken Mann zugewendet. Der linke Mann sieht modisch gekleidet aus, mit schwarzem Anzug und weißem Hemd. Der rechte Mann hat eine etwas lockere Körperhaltung und ein weißes Papier oder Buch in der Hand. Ich nehme an, dass dieser Charlie ist. Hat er die Gebrauchsanweisung für Adam in der Hand? Oder ist es Adam, der mit recherchierten Anweisungen in die Beziehung Charly und Miranda einbricht?

Es gefällt mir gut. Es bildet die Geschichte ab. Ist der Android Ian McEwans Adam der bessere Mensch?

Es gibt auch das Hörbuch „Maschinen wie ich“! Ich habe es mit Audible gehört. Die Hörbücher vom Diogenes Verlag sind nicht im BookBeat Katalog enthalten. Das Hörbuch wird von Wanja Mues gesprochen. Der Sprecher war mir bislang nicht bekannt, hat mir aber für dieses Buch sehr gut gefallen. Ich mache das immer daran fest, ob das Kopfkino gut funktioniert. Und das klappt gut!

„Maschinen wie ich“ von Ian McEwan basiert auf einem genialen intelligenten Konzept, woraus der Autor den Weltenbau entwickelt hat. Das Buch ist eine Utopie oder vielleicht eine Dystopie? Das ist eine Frage der Philosophie.

Der Autor baut die fiktive Wissenschaftsgeschichte und das fiktive Zeitgeschehen überzeugend in die Handlung ein. Ausgangspunkt ist das fiktive Leben Alan Turings.

Das Buch hat mich herausfordernd unterhalten. Ian McEwan legt seinen Finger auf gesellschaftliche Probleme, und zwar genau dorthin, wo es schmerzt: Kindesmissbrauch und damit zusammenhängend, der juristische Umgang mit Opfern, gerade bei Vergewaltigungen, wird den Opfern oft eine Teilschuld zugesprochen.

Politische Entscheidungen, die Menschenleben kosten. Wir machen uns viel zu wenig Gedanken über die Zukunft, und den damit zusammenhängenden Technologien. Noch immer werden in den wenigsten Ländern der Welt konsequent die Menschenrechte eingehalten.

Aber am allerbesten hat mir der Schreibstil gefallen. Der Autor erzählt nicht einfach, sondern die Geschichte entwickelt sich, aber nicht nur die Handlungsstränge, sondern auch das, was wir im Fantasybereich den Weltenbau nennen. Dadurch wirkt das fiktive Geschehen authentisch.

EIN GROSSARTIGER AUTOR

Ich möchte Abschluss noch ein Zitat meines leider verstorbenen Helden und Vorbildes Stephen Hawking einfügen:en

I fear that AI (Artificial Intelligence) may replace humans altogether. If people design computer viruses, someone will design AI that replicates itself.

Stephen Hawking

Das Buch wurde mir vom Diogenes Verlag als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt. 

Vielen Dank!

★★★★★ 5/5

Ian McEwan Maschinen wie ich
Maschinen wie ich Ian McEwan Romane 22. Mai 2019 Englischen Bernhard Robben Motiv Gemälde von Jarek Puczel, „Meeting“ Machines like me (and people like you) Wanja Mues  11 Std. 16 Min.   Audible

Leseliste"Maschinen wie ich" von Ian Mc Ewan Buchblog
Der Roman Maschinen wie ich von Ian Mc Ewan

Links zum Buch

Link zum Buch „Maschinen wie ich“-Diogenes Verlag

Rezension „Erkenntnis und Schönheit“

Rezension „Die Kakerlake“

Weitere Rezensionen

Zeilenwanderer

umgeBUCHt

Teile diesen Beitrag
Benutzerbild von Connie Ruoff

Connie Ruoff

12 Kommentare zu „„Maschinen wie ich“ von Ian McEwan (Rezension)“

  1. Pingback: Die Kakerlake | Ian McEwan | Romane | SCHREIBBLOGG

  2. Benutzerbild von Silvia

    Hallo Connie,
    dieses Buch steht auf meinem Geburtstagswunschzettel.
    Ich mag einige Bücher von MacEwan sehr und dieses Thema finde ich total interessant.
    Ich empfehle noch Saturday von diesem Autor. Mit seinem größten Erfolg in Deutschland „Abbitte“ bin ich nicht klar gekommen.
    Viele Grüße
    Silvia

  3. Benutzerbild von Yvonne

    Liebe Connie,
    das Buch hat mich auch dazu gebracht mich mit Alan Turing zu beschäftigen.
    Manchmal wäre es schön, wenn man wie Ian McEwan Geschichtliches einfach neu schreiben könnte und so manchem Zeitgeschehen eine neue Richtung verpassen könnte.
    LG Yvonne

    1. Benutzerbild von Connie

      Liebe Yvonne,
      ein schöner Gedanke, allerdings befürchte ich wir Menschen würden das Ganze nur verschlimmbessern. Leider lernen wir überhaupt nichts aus unserer Vergangenheit, das sieht man leider an den Wahlergebnissen.
      LG Connie

  4. Benutzerbild von Petrissa

    Liebe Connie,

    Deine Rezension ist wirklich brilliant! Du hast alles so dermaßen gut ausgedrückt, ohne irgendetwas zu spoilern.
    Ich habe meine nun auch online und Dich verlinkt. Und Danke auch nochmal, dass Du mich mit Turing erleuchtet hast. 😀 Das war schon ein genialer Schachzug von McEwan. Schade finde ich allerdings, dass es nicht irgendwo im Buch erwähnt wurde.

    Sei liebst gegrüßt
    Petrissa

  5. Benutzerbild von monerl

    Liebe Connie,
    diese Rezension ist dir außerordentlich gut gelungen! Wenn ich nicht schon alles über das Buch wüsste, würde ich es mir jetzt gleich kaufen und zu lesen anfangen. Vielleicht höre ich es mal. War es über Audible eigentlich ungekürzt?

    Der Aufbei uns Stil deiner Rezis gefällt mir nun nicht nur auch inhaltlich, sondern auch optisch sehr gut! Die weiteren Informationen zu Turing finde ich super.
    GlG, monerl

    1. Benutzerbild von Connie

      Liebes Monerl,
      herzlichen Dank für deinen Kommentar. Und zu deiner Frage: Ja, ungekürzt. Ich höre nur ungekürzte Hörbücher. Ich verstehe nicht einmal, warum es gekürzte Hörbücher gibt. GlG Connie

  6. Benutzerbild von Tintti

    Danke für den Tipp. Ich habe das Buch schon in Audible.de gefunden. Ich probiere es, hoffentlich ist es nicht zu grau oder pessimistisch … manchmal sind die Bücher von Ian McEvan ein bischen so, aber sie sind auch intelligent. Übrigens, beim Audible kann man jetzt im Juli gewinnen, wenn man dort Bücher hört. Vielleicht ist es im Sommer für viele Leute etwas anderes zu machen…

Schreibe einen Kommentar zu Connie Kommentieren abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Nach oben scrollen
%d Bloggern gefällt das: