Die Dramaturgie des Labyrinths
Nachdem ich gerade die Lektüre „Erkenntnis und Schönheit. Über Wissenschaft, Literatur und Religion“ von Ian McEwan beendet hatte, fing ich an, in Ulrich Webers „Friedrich Dürrenmatt“ zu lesen. Ich hatte mich während meines Studiums mit Dürrenmatt beschäftigt und las mir nochmals eine Seminararbeit zu Dürrenmatt durch. Und meine Gedanken zur Dramaturgie des Labyrinths, konnte ich beim Lesen Fühlen.
Ich setzte mich eigentlich an den Schreibtisch um die beeindruckenden Essays von Ewan McEwan,
- über die Entwicklung des Individuums,
- wie wichtig es sein Kann, als Urheber einer Idee oder besser eines Werks zu gelten.
- über die Erkenntnis, dass der Mensch auch nur ein Tier ist
- dass es kein metaphysisches Wesen über uns gibt und der Tod das Ende ist.
- Wie Verschwörungstheorien mit der Offenbarung des Johannes zusammenhängen.
Und über noch mehrere sehr wichtige und auch die Welt erklärende und beschreibende Gedanken.
Aber meine Gedanken schweiften immer wieder zum Labyrinth ab. Deswegen muss Ian McEwan bis zum Wochenende warten und heute erkläre ich:
Warum ich mich wie in einem Labyrinth fühle
Schon seit mehreren Monaten empfinde ich das Tagesgeschehen als Belastung. Ich mag keine Nachrichten ansehen, aber ich kann es auch nicht lassen. Ich möchte doch informiert sein, was ich der Welt geschieht.
Vor fast elf Monaten (10. Oktober 2019) schrieb ich den Artikel „Denk ich an Deutschland“ und schrieb über den Rechtsruck in der Welt und über Präsidenten, die das Wort Demokratie unterhöhlen.
Gestern am 3. November 2020 wurde in den Vereinigten Staaten der USA gewählt. Eine Wahl, die weitaus mehr bedeutet, als nur ein möglicher Wechsel des Amtsinhabers. Nein! Das Ergebnis wird dann auch zeigen auf welches Amerika wir hoffen dürfen. Auf ein Amerika, das den Weg zurück in die Freiheit der Demokratie findet, oder auf ein Land voll Rassismus, das keine Verträge oder Gesetze einhält. Auf ein Land, dem Wissenschaft und Wahrheit völlig abhandengekommen sind. Aber Freiheit heißt nicht, dass jeder machen kann was er will. Immanuel Kant hat den Begriff gut erläutert:
„Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des Anderen beginnt. Die Freiheit des Einzelnen hat ihre Grenze in der Freiheit der anderen.“
Donald Trump hatte viele Vorgänger. Demokraten und Republikaner. Sicher gab es darunter Präsidenten, die nicht jedermanns Zustimmung hatten. Aber sie waren zuverlässige Vertragspartner. Keiner von ihnen hatte das Amt entwertet. Donald Trump hat es getan. Er säht die Zweifel an den demokratischen Institutionen wie das Wahlrecht.
Aber nicht nur das bekümmert mich!
Waren früher die Ziele des linken Terrors staatliche Einrichtungen, Funktionsträger, jedoch nie Privatpersonen oder Kinder. Versteht mich nicht falsch, ich möchte keinesfalls Linksextremismus verharmlosen oder gutheißen. Ich verurteile jegliche Gewalt gegen Menschen und Tiere.
Aber in heutiger Zeit kann wirklich jeder in den Fokus islamistischen Terrors geraten. Unsere Werte sind in Gefahr. Das haben Frankreich und Österreich die letzten Wochen erlebt.
Aber wir werden von einer weiteren Seite angegriffen. Von Sars-CoV-2! Können wir die Pandemie noch aufhalten?
Und jetzt komme ich zum Labyrinth
Wie schon erwähnt, lese ich gerade „Friedrich Dürrenmatt“ von Ulrich Weber. Ich las mir meine Seminararbeit nochmals durch. Und Dürrenmatt trifft mit seiner Interpretation des Minotaurus, bzw. der Auslegung des Labyrinths genau meine Gefühlswelt. Ich möchte euch das gerne, mit einem Auszug aus dieser Arbeit und Ulrich Webers „Friedrich Dürrenmatt“ näher erklären: „Nicht von ungefähr ist der einsame und einzigartige Minotaurus im Labyrinth eines seiner zentralen und liebsten Motive.“ (Weber: Friedrich Dürrenmatt).
Dürrenmatt und das Labyrinth
Mit vierzehn Jahren zog Dürrenmatt aus seinem Heimatdorf in die Stadt. Er schrieb dazu in seinem Werk Stoffe (S.23) „Das Labyrinth wurde Wirklichkeit“. Die Stadt war für den jungen Dürrenmatt ein Ort des Ausweglosen. Er sehnte sich nach der übersichtlichen Geborgenheit des Dorfes. Als Erwachsener beschreibt er seine Denkweise folgendermaßen: „Was heute gilt, galt damals: Dramaturgie des Labyrinths, Minotaurus. Indem ich die Welt, ich die ich mich ausgesetzt sehe als Labyrinth darstelle, versuch ich, Distanz zu ihr zu gewinnen, vor ihr zurückzutreten, sie ins Auge zu fassen, wie ein Dompteur ein wildes Tier. Die Welt, wie ich sie erlebe, konfrontiere ich mit einer Gegenwelt, die ich erdenke. (Ebenda. S. 77).“
Natürlich darf man bei der Betrachtung des Labyrinths nicht den erkenntnistheoretischen Ansatz von Kant vergessen:
„Kant lehrte den Menschen, das Labyrinth zu akzeptieren, er erlöste den Minotaurus, nicht wie Theseus, der ihn tötete, sondern indem er ihn zum Menschen verwandelte, er erzog ihn, das Gefängnis seines Wissens zu ertragen, und gab ihm die Freiheit des Geistes, sein Gefängnis zu sprengen, indem er es anerkannte.« (WA 29, S. 123f.)“ (Weber, U.: Friedrich Dürrenmatt.)
Dürrenmatt zeigt es im Minotaurus, in seiner Entwicklung des Bewusstseins zum Selbstbewusstsein und dem Streben nach einem „ihm gleichen“.
„Ohne Kierkegaard bin ich als Schriftsteller nicht zu verstehen.«
(WA 29, S. 125). (Weber, U.: Friedrich Dürrenmatt.)
Kierkegaard hatte ihn vor allem bei der Konzeption der Komödien beeinflusst. Gerade der Einzelne, der sich dem Allgemeinen unterordnet, wird bei Kierkegaard aufgehoben.
Der Minotaurus von Dürrenmatt
In Stoffe ((1981 veröffentlicht) schrieb Dürrenmatt über die Dramaturgie des Labyrinths. Er sah den Minotaurus so: „Er war nicht ein Mensch mit dem Kopf eines Stiers, sondern ein Stier mit dem Leib eines Menschen – ein wesentlicher Unterschied – demnach durchaus kein Intellektueller, im Gegenteil, aber dafür von einer offenbar unbeschreiblichen Wildheit und Kraft, der keine Tür eines Gefängnisses widerstanden hätte. (Ebenda. S. 82).
Der Minotaurus erschien 1985. Pasiphae, die Tochter des Sonnengottes, empfing den Minotaurus, nachdem sie, entsprechend ihres eigenen Wunsches, eingeschlossen in eine künstliche Kuh, von einem, dem Poseidon geweihten weißen Stier begattet worden war. Nach der Geburt wuchs der Minotaurus zuerst schlafend zwischen Kühen heran. Dann baute Dädalos (von Dürrenmatt auch Daidalos genannt) das Labyrinth, um die Menschen vor dem Wesen und das Wesen vor den Menschen zu schützen, eine/einer Anlage, aus der keiner, der sie betreten hatte, wieder herausfand und deren unzählige in sich verschachtelte Wände aus Glas waren, so dass das Wesen nicht nur seinem Spiegelbild gegenüberkauerte, sondern auch den Spiegelbildern seiner Spiegelbilder: (Minotaurus. S. 7.)
Fazit: Die Welt ist zum Labyrinth geworden
Ich habe keine Lösung, aber ich nehme mir Ian McEwans Rat zur „Ästhetischen Kontemplation“ zu Herzen. In der Hinwendung zu Kunst, Kultur und Wissenschaft können wir unsere Welt von außen betrachten.
Wir ändern die Welt nicht, aber ich kann besser damit umgehen. Dürrenmatt ist aktueller denn je und wenn wir die Welt als Labyrinth betrachten, können wir von ihr zurücktreten und sie von außen betrachten, während wir die erlebte Welt mit unserer erdachten Welt konfrontieren.
Das war ein Kurzausflug ins Labyrinth.
Passt aufeinander auf und bleibt gesund!
Connie Ruoff