Der Zufall siegt immer
Matthäi, ein Ermittler, der ein Kind als Köder einsetzt. Dürrenmatt, ein Autor, der für die Verfilmung lieber den Titel „Gott schlief am Vormittag“ gewählt hätte. Heinz Rühmann, ein Schauspieler, der seinen eigenen Drehbuchautor mitbringt.
Wahrscheinlich hätte es ohne die Verfilmung „Es geschah am helllichten Tag“ nie das Buch „Das Versprechen“ und den daraus adaptierten Film „The Pledge“ gegeben.
Wie ist der (Anti)-Kriminalroman «Das Versprechen» entstanden?
Vor dem Klassiker «Das Versprechen» schrieb Dürrenmatt das Drehbuch zum Film «Es geschah am helllichten Tag». Die Filmerzählung unterscheidet sich von der Prosafassung „Das Versprechen“.
1958 hatte sich «Dürrenmatt» zu einer Marke etabliert. Ulrich Weber beschreibt in «Friedrich Dürrenmatt – Eine Biographie» diese Zeit im Leben des Autors umfassend.
„Die Marke Dürrenmatt war gefragt wie nie zuvor, was sich in einer Vielfalt von Angeboten und zugleich von Erwartungen manifestierte, die die reale Person kaum alle zu erfüllen vermochte. Dazu kam, dass der Autor Dürrenmatt der Verselbständigung seines Werks nicht gleichgültig gegenüberstand, sondern sein bestehendes dramatisches Werk mit sich trug, es weiterdachte und weiterentwickelte.“
Auszug aus: Ulrich Weber. „Friedrich Dürrenmatt. Eine Biographie.“ Apple Books.
1957 beauftragte Lazar Wechsler, der Produzent der Praesens Film (Zürich), Dürrenmatt damit, einen Film über Sittlichkeitsverbrechen an Kindern zu konzipieren,. der die Funktion hatte, Eltern und Kinder zu sensibilisieren und zu warnen. . Der Filmtitel «Es geschah am helllichten Tag» war nicht Dürrenmatts Wahl. Er hätte «Gott schlief am Vormittag» bevorzugt.
Heinz Rühmann erhielt die Hauptrolle und brachte seinen eigenen Drehbuchautor mit. Der passte Dürrenmatts Stoff an das Image Rühmanns an. Rühmann war zu dieser Zeit ein gefeierter Star.
Dürrenmatt fühlte eine Entfremdung des eigenen Werks durch die Diskrepanz zwischen seinem eigenen künstlerischen Anspruch und den Ansprüchen des Produzenten.
Inhalt/Zusammenfassung der Filmerzählung «Es geschah am helllichten Tag»
Im Wald in der Nähe von Zürich wird die Leiche eines kleinen Mädchens gefunden. Der Ermittler Matthäi verspricht der Mutter, den Mörder des Mädchens zu überführen. Er stellt dem Mörder eine Falle und setzt ein Mädchen als Köder ein. Dadurch kann der Sittlichkeitsverbrecher Schrott gefasst werden.
Ich habe den Film vor über 40 Jahren gesehen und mir ist heute noch die Rolle von Gert Fröbe, der den Mörder spielte, im Gedächtnis. Eine überragende Schauspielleistung.
Der Film wird zu einer moralisch glatten Inszenierung. Heinz Rühmann besteht darauf, dass der Zuschauer im Showdown des Films, kein kleines Mädchen als Köder präsentiert bekommt, sondern eine Puppe.
In Dürrenmatts Nachlass befand sich ein Brief des Kommandanten der Züricher Kantonspolizei mit vertraulichen Unterlagen und Dienstbefehlen zu einem Lustmord.
Nach der Verfilmung bearbeitet Dürrenmatt den Stoff erneut.
2001 widmete sich Sean Penn dem Stoff. „The Pledge“ liegt der Roman Dürrenmatts zugrunde. Auch hier wird der Täter nicht gefasst. Jack Nicholson spielt Matthäi auf eindrucksvolle Weise.
Tagesschau – The Pledge – Play SRFSRF05.10.2001
Inhalt/Zusammenfassung «Das Versprechen»
1958 erschien der Roman zunächst als Vorabdruck in der NZZ und in der Illustrierten Constanze. Das Buch erschien 1958 im Arche Verlag. Der Stoff wird regelmäßig für die Bühne adaptiert.
Während der Film ein Happy End nimmt, endet das Buch höchst tragisch. Oder um es in Dürrenmatts Worten zu sagen: Die Geschichte nimmt eine schlimmst mögliche Wendung.
In Film und im Buch wird der Hausierer von Gunten verdächtigt und nimmt sich nach ausdauerndem Verhör in seiner Zelle das Leben. Der Fall wird erst mal als gelöst betrachtet. Nur Matthäi schlägt eine Karrieremöglichkeit in Jordanien aus und ermittelt auf eigene Faust weiter. Er stellt dem Mörder eine Falle. Der Ermittler hatte den richtigen Riecher. Aber bevor die Falle zuschnappen konnte, schlug der Zufall zu. Der Mörder verunglückte. Ein paar Jahre später kam es (wiederum durch Zufall) ans Licht, dass Matthäi Recht hatte. Zu spät! Inzwischen hatte der Ermittler jeglichen Bezug zur Realität verloren. Er saß nur noch auf der Bank seiner Tankstelle und stammelte:
„Er wird kommen.“
Dürrenmatt hat den Inhalt in eine Rahmenhandlung gefasst. Dr. H., der alte Kommandant, fährt mit dem Schriftsteller durch Chur. Er hält an der Tankstelle an und erzählt die Geschichte Matthäis.
„Chur ist in den düsteren Farben der frühen Prosa gemalt. Dann verschachteln sich die Erzählebenen, die Perspektive wechselt vom Autor auf den alten Kommandanten, der zunehmend zum allwissenden auktorialen Erzähler wird.“
Rüedi, Peter: Dürrenmatt – oder die Ahnung vom Ganzen. S. 614
Dürrenmatt rechnet in der Rahmenhandlung mit der Verfilmung ab. Dr. H. erläutert dem Schriftsteller den Unterschied zwischen der Realität und der Glitzerwelt des Films.
„Der Wirklichkeit ist mit Logik nur zum Teil beizukommen. Dabei, zugegeben, sind wir gerade von der Polizei gezwungen, ebenfalls logisch vorzugehen, wissenschaftlich; doch die Störfaktoren, die uns ins Spiel pfuschen, sind so häufig, dass allzu oft nur das reine Berufsglück und der Zufall zu unseren Gunsten entscheiden. Oder zu unseren Ungunsten.
Das Versprechen. S. 18
Fazit/Kritik/Interpretation „Das Versprechen“
Es sind drei eigenständige Werke: „Es geschah am helllichten Tag“, „Das Versprechen“und „The Pledge“. Man könnte es fast schon als ein interaktives Werkstück betrachten. Erst der Film hat in Dürrenmatt das Buch reifen lassen.
Dürrenmatt stellt sehr gut Matthäis Verpflichtung zu dem gegebenen Versprechen dar. Es handelt sich für Mattäi um eine Schuld, die geleistet werden muss.
Wer trägt Schuld in diesem Roman? Nur Schrott? Wer ist am Selbstmord des Hausierers schuld? Trägt Frau Schrott eine Mitschuld? Hierzu würde sich eine genaue Analyse lohnen.
Wie verwerflich ist es, ein Kind als Köder zu benutzen?
Dürrenmatt hat auch das Motiv der kollektiven Schuld wunderbar aufgezeigt. In der Szene, wie das gesamte Dorf Selbstjustiz an dem Hausierer von Gunten leisten möchte und Matthäi die „Meute“ wieder beruhigte.
„Das Versprechen“ ist ein außerordentlich komplexer Roman, der aus verschiedenen Perspektiven ausführlich interpretiert werden kann. Ich empfehle chronologisch vorzugehen, zuerst den Film „Es geschah am helllichten Tag“, dann „Das Versprechen“ und am Schluss Jack Nicholson in „The Pledge“ zu genießen.
Weiterführende Links
Rezension „Der Richter und sein Henker“
und Rezensionen
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